Mittwoch, 16. Januar 2019

Der Brexit liegt als schwere Last auf der britischen Seele


Man muß hoffen, dass der Brexit irgendwie ein Erfolg für Großbritannien wird. Ansonsten droht ein wenig Ungemach.
Ich hatte heute Nachmittag das außergewöhnliche Vergnügen, zwei Stunden mit einem Mann verbringen zu dürfen, der seinem Leben Sinn durch seine engagierte Arbeit im diplomatischen Corps der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat. Seit seiner frühesten Jugend suchte er Kontakt zu Gesprächspartnern in Großbritannien, insbesondere zu englischen Gesprächspartnern. Das Land und seine Vorstellungskraft darüber hatte seine Seele gepackt. 
 „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Staaten, die vollständig teilnehmen in blau. Großbritannien und Irland haben ein Opt-out mit der Möglichkeit des Opt-in für einzelne Fälle. Dänemark hat ein generelles Opt-out.“

(Quelle: Wikipedia / File:European_Fiscal_Compact_ratification_(cropped).svg /Autor: European_Fiscal_Compact_ratification_(cropped).svg: IgnisFatuus * derivative work : Blue-Haired Lawyer * derivative work : Danlaycock *derivative work: Danlaycock / Lizenz: This is a retouched picture, which means that it has been digitally altered from its original version. Modifications: change colours to reflect new purpose. The original can be viewed here: European Fiscal Compact ratification (cropped).svg. Modifications made by Danlaycock.)
Wir saßen in einer für Berlin so typischen Lokation inmitten der Stadt. Das Ambiente ist schlicht und funktional gestaltet. Kein Pomp nirgendwo. Wir bewirteten uns selbst.
Geplant als Zusammentreffen, um eine eher „technische Frage“ zu besprechen, entwickelte sich ein Zwiegespräch, zu dem ich wenig beitragen wollte und konnte. Ich hörte zu, gab Eindrücke ab und erlaubte mir Fragen zu stellen. Die Emotionalität, dieses „gesetzten Herren“, der durch Ausbildung und Beruf zur Emotionslosigkeit gedrillt wurde, berührte mich.
Wenn man so um 1945 herum geboren wurde, dann konnte man so um 1970 herum eine berufliche Laufbahn starten. Der Zweite Weltkrieg lag nicht endlos weit zurück, erschien aber doch als ein Relikt der Vergangenheit.
Wunderbar fast schon formulierte DER SPIEGEL bereits am 30.01.1967, was das stete Problem Großbritanniens bleiben würde: der Wunsch nach „Extrakirschen“!
Im Januar 1963 hatte er England die EWG-Tür zugeschlagen, weil Wilson-Vorgänger Macmillan die Römischen Verträge nur mit Vorbehalten und Sonderregelungen unterzeichnen wollte.
Am 15. Januar 1963 stellte de Gaulle das Ultimatum: ‚Entweder die Engländer unterzeichnen jetzt, oder sie ziehen aus Brüssel ab. Dann werden sie nachdenken. Sie werden eines Tages dem Gemeinsamen Markt beitreten. Aber dann werde ich sicher nicht mehr da sein.‘
Harold Macmillan unterzeichnete nicht, wollte aber auch nicht auf de Gaulles Todestag warten. Ausdauernd und würdevoll wie ein echter Tory klopfte er immer wieder an, so daß de Gaulle sein Nein mehrmals wiederholen mußte. De Gaulle: ‚England läuft Gefahr, sich wie ein Handlungsreisender zu benehmen.‘“
Dennoch trat das Vereinigte Königreich der damaligen EWG 1973 bei. Ein Referendum am 05.06.1975 bestätigte den Beitritt!
Von da an lief vieles schief. Entscheidend aus meiner Sicht heraus ist letztendlich, dass sich in Großbritannien in der Argumentation „Pro oder Kontra Europäische Einigung“ seit den 1960er Jahren rein gar nichts geändert hat!
Mein Gesprächspartner verwies darauf, dass der Brexit schlicht die Kulmination einer „kognitive Dissonanz“ im britischen Selbstverständnis sei. Man wolle nicht wahrhaben, dass man „keine Großmacht“ mehr sei. Er selbst hätte mittlerweile das „traurige Gefühl“, dass „der Spleen, dieses Anderssein“ nur vor dem Hintergrund „dieser imperialen Überheblichkeit“ überhaupt hätte „real“ werden können. „Ich kann mir meine Marotten leisten, weil ich Dich totschießen kann“ ...
Das Gespräch wurde einseitig. Wie war die Gefühlslage „der Deutschen“ in der Weimarer Republik gewesen? Die meisten Deutschen hätten gewußt, dass sie den ersten Weltkrieg militärisch verloren hatten. Die „Dolchstoßlegende“ hätte ihnen aber einen „emotionalen Ausweg gegeben, dem sie zu gerne nachgaben“. Es fehlte nicht an einem Hinweis auf Timothy Garton Ash, der ja in seinem Kommentar für den Guardian die Gefahr beschrieben hat, dass Großbritannien zukünftig gegen die Europäische Union und ihre Einzelstaaten feindlich vorgehen könnte.
Ich verlangte eine Pause in der Argumentationslinie. Ich mag weder T. G. Ash, noch die Rieten des Britischen Parlaments, noch den Snobismus der britischen Elite, deren Reeses sich wie Vorschulkinder aufführen. Ich fragte, warum ein Boris Johnson Außenminister werden konnte, der in seiner ganz eigenen Art von einer "Autobiographie“ davon berichtet, seit wie vielen Jahren er nicht mehr wic*s*n mußte?
Mein Gesprächspartner seufzte und bat um mein „Verständnis“.
Den Rest des Gesprächs gebe ich nicht wieder, da ich hoffe, dass die Uhren sich weiterhin drehen werden…
Warum am Anfang eine Graphik über den europäischen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ abgebildet ist? Nun, das ist ein Klassiker des berühmten britischen „Rosinenpickens“, auch als „Cherry Picking“ bekannt!

Es ist schlicht dieses Beispiel, das Angela Merkel „negativ beeindruckt“ hat. Die Britten wollten bei einem europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ nicht mitmachen. Letztendlich unter dem Premierminister David Cameron hatten sie sich das Recht erstritten, ein “Opt Out“ zu erwirken. Sie hatten sich aber auch das Anrecht erstritten, „Opt Ins“ zu erwirken! Und so unterschrieb die damalige Innenministerin Theresa May recht fleißig so um die 2/3-tel aller Einzelgesetze, welche den „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ im Detail abbilden!
Ein solches Vorgehen stellt dann aber deutsche Staatsbürger schlechter dar als britische!
Und so tauchte bei einem Brexitmit Sonderwünschenimmer die Frage auf, ob eine deutsche Kanzlerin britische Interessen überhaupt noch mit „deutschen“ Belangen unter einem „europäischen Dach“ zusammenbringen könnte. Das deutsche Wahlvolk wählt keine britischen Premiers, das britische keine deutschen Kanzler.
Mein Gesprächspartner verwies verblüffender Weise auf drei „Fehler, die Kanzler Schröder“ gemacht hätte: „Desinteresse bezüglich kleiner Europäischer Nationen“, „Halsstarrigkeit als letzendlich Nationalist“ gegenüber europäischer Belange und „zu viel Zutrauen gegenüber dritten Mächten“.
Für Großbritannien stelle sich die momentane Situation als eine Art „Reise mit ungewolltem Ziel“ dar. Das gepaart mit dem „Beispiel Deutschland kognitive Dissonanz“ lasse Schlimmes möglich erscheinen.
Die möglichen Alternativen für the UK böten letztendlich nur in einem Falle eine Ausweg, wenn das Land geeint werden solle: Der Brexit muss funktionieren!
Dieses kleine Feature wurde in erster Version am 15.01.2019 um 23:07 geschrieben. Das Abstimmungsergebnis lautet: Zwei Drittel der Abgeordneten in Westminster lehnen den Ausstiegsvertrag zwischen der EU und the UK ab ...

Na dann! 

 

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