Man muß hoffen, dass der Brexit irgendwie ein
Erfolg für Großbritannien wird. Ansonsten droht ein wenig Ungemach.
Ich
hatte heute Nachmittag das außergewöhnliche Vergnügen, zwei Stunden mit einem Mann
verbringen zu dürfen, der seinem Leben Sinn durch seine engagierte Arbeit im diplomatischen Corps der Bundesrepublik
Deutschland gegeben hat. Seit seiner frühesten Jugend suchte er Kontakt zu
Gesprächspartnern in Großbritannien, insbesondere zu englischen Gesprächspartnern.
Das Land und seine Vorstellungskraft darüber hatte seine Seele gepackt.
„Raum der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Staaten, die vollständig teilnehmen in
blau. Großbritannien und Irland haben ein Opt-out mit der Möglichkeit des Opt-in für
einzelne Fälle. Dänemark hat ein generelles Opt-out.“
(Quelle: Wikipedia /
File:European_Fiscal_Compact_ratification_(cropped).svg /Autor: European_Fiscal_Compact_ratification_(cropped).svg: IgnisFatuus * derivative work : Blue-Haired Lawyer * derivative work : Danlaycock *derivative work: Danlaycock / Lizenz: This is a retouched picture, which means that it has been digitally altered from its original version. Modifications: change colours to reflect new purpose. The original can be viewed here: European Fiscal Compact ratification (cropped).svg. Modifications made by Danlaycock.)
Wir
saßen in einer für Berlin so typischen Lokation inmitten der Stadt.
Das Ambiente ist schlicht und funktional gestaltet. Kein Pomp nirgendwo. Wir bewirteten uns selbst.
Geplant
als Zusammentreffen, um eine eher „technische Frage“ zu besprechen, entwickelte
sich ein Zwiegespräch, zu dem ich wenig beitragen wollte und konnte. Ich hörte
zu, gab Eindrücke ab und erlaubte mir Fragen zu stellen. Die Emotionalität,
dieses „gesetzten Herren“, der durch Ausbildung und Beruf zur Emotionslosigkeit
gedrillt wurde, berührte mich.
Wenn
man so um 1945 herum geboren wurde, dann konnte man so um 1970 herum eine
berufliche Laufbahn starten. Der Zweite Weltkrieg lag nicht endlos weit zurück,
erschien aber doch als ein Relikt der Vergangenheit.
Wunderbar
fast schon formulierte DER SPIEGEL
bereits am 30.01.1967, was das stete Problem Großbritanniens bleiben
würde: der Wunsch nach „Extrakirschen“!
„Im Januar 1963
hatte er England die EWG-Tür zugeschlagen, weil Wilson-Vorgänger Macmillan die
Römischen Verträge nur mit Vorbehalten und Sonderregelungen unterzeichnen
wollte.
Am 15. Januar 1963 stellte
de Gaulle das Ultimatum: ‚Entweder die Engländer unterzeichnen jetzt, oder sie
ziehen aus Brüssel ab. Dann werden sie nachdenken. Sie werden eines Tages dem
Gemeinsamen Markt beitreten. Aber dann werde ich sicher nicht mehr da sein.‘
Harold Macmillan
unterzeichnete nicht, wollte aber auch nicht auf de Gaulles Todestag warten.
Ausdauernd und würdevoll wie ein echter Tory klopfte er immer wieder an, so daß
de Gaulle sein Nein mehrmals wiederholen mußte. De Gaulle: ‚England läuft
Gefahr, sich wie ein Handlungsreisender zu benehmen.‘“
Dennoch
trat das Vereinigte Königreich der
damaligen EWG 1973 bei. Ein Referendum
am 05.06.1975
bestätigte den Beitritt!
Von da
an lief vieles schief. Entscheidend aus
meiner Sicht heraus ist letztendlich,
dass sich in Großbritannien in der Argumentation „Pro oder Kontra Europäische
Einigung“ seit den 1960er Jahren rein gar nichts geändert hat!
Mein Gesprächspartner
verwies darauf, dass der Brexit
schlicht die Kulmination einer „kognitive Dissonanz“ im britischen Selbstverständnis sei. Man wolle nicht wahrhaben, dass man „keine Großmacht“
mehr sei. Er selbst hätte mittlerweile das „traurige Gefühl“,
dass „der
Spleen, dieses Anderssein“ nur vor dem Hintergrund „dieser
imperialen Überheblichkeit“ überhaupt hätte „real“
werden können. „Ich
kann mir meine Marotten leisten, weil ich Dich totschießen kann“ ...
Das
Gespräch wurde einseitig. Wie war die Gefühlslage „der Deutschen“ in der
Weimarer Republik gewesen? Die meisten Deutschen hätten gewußt, dass sie den ersten
Weltkrieg militärisch verloren hatten. Die „Dolchstoßlegende“ hätte ihnen aber einen „emotionalen
Ausweg gegeben, dem sie zu gerne nachgaben“. Es fehlte nicht an einem
Hinweis auf Timothy Garton Ash, der
ja in seinem Kommentar für den Guardian die Gefahr beschrieben
hat, dass Großbritannien zukünftig gegen die Europäische Union und ihre Einzelstaaten
feindlich vorgehen könnte.
Ich verlangte eine Pause in der
Argumentationslinie. Ich mag weder T. G. Ash, noch die Rieten des
Britischen Parlaments, noch den Snobismus der britischen Elite, deren Reeses sich wie
Vorschulkinder aufführen. Ich fragte, warum ein Boris Johnson Außenminister werden konnte, der in seiner ganz eigenen Art von einer "Autobiographie“ davon berichtet,
seit wie vielen Jahren er nicht mehr
wic*s*n mußte?
Mein
Gesprächspartner seufzte und bat um mein „Verständnis“.
Den
Rest des Gesprächs gebe ich nicht wieder, da ich hoffe, dass die Uhren sich
weiterhin drehen werden…
Warum
am Anfang eine Graphik
über den europäischen „Raum der
Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ abgebildet ist? Nun, das ist ein
Klassiker des berühmten britischen „Rosinenpickens“,
auch als „Cherry Picking“ bekannt!
Es ist
schlicht dieses Beispiel, das Angela
Merkel „negativ beeindruckt“ hat. Die Britten wollten bei einem
europäischen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ nicht mitmachen. Letztendlich unter dem
Premierminister David Cameron hatten
sie sich das Recht erstritten, ein “Opt
Out“ zu erwirken. Sie hatten sich aber auch das Anrecht erstritten, „Opt Ins“ zu erwirken! Und so
unterschrieb die damalige
Innenministerin Theresa May recht fleißig so um die 2/3-tel aller Einzelgesetze, welche den „Raum der Freiheit, der
Sicherheit und des Rechts“ im Detail abbilden!
Ein solches Vorgehen stellt dann aber deutsche Staatsbürger schlechter dar als
britische!
Und so tauchte bei einem Brexit „mit
Sonderwünschen“ immer die Frage auf, ob eine deutsche Kanzlerin britische Interessen
überhaupt noch mit „deutschen“
Belangen unter einem „europäischen Dach“ zusammenbringen
könnte. Das deutsche Wahlvolk wählt keine britischen Premiers, das britische
keine deutschen Kanzler.
Mein Gesprächspartner
verwies verblüffender Weise auf drei „Fehler,
die Kanzler Schröder“
gemacht hätte: „Desinteresse bezüglich kleiner Europäischer Nationen“, „Halsstarrigkeit als letzendlich Nationalist“
gegenüber europäischer Belange und „zu viel Zutrauen gegenüber dritten Mächten“.
Für Großbritannien stelle sich die momentane Situation als eine Art „Reise mit
ungewolltem Ziel“ dar. Das gepaart mit dem „Beispiel …
Deutschland … kognitive Dissonanz“ lasse Schlimmes möglich erscheinen.
Die
möglichen Alternativen für the UK böten letztendlich nur in einem Falle eine Ausweg, wenn das Land geeint werden solle: Der Brexit muss funktionieren!
Dieses kleine
Feature wurde in erster Version am 15.01.2019 um 23:07 geschrieben. Das Abstimmungsergebnis lautet: Zwei Drittel der Abgeordneten in Westminster lehnen den Ausstiegsvertrag zwischen der EU und the UK ab ...Na dann!
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