Montag, 10. September 2018

Es wird einen Brexit-Deal geben.

Die Europäische Union ist die erfolgreichste Kompromissmaschine der Neuzeit - für Nationalstaaten. Quasi aus ihrem Selbstverständnis heraus muss es daher ein positives Verhandlungsergebnis bezüglich Brexit geben. Wie sieht die Lage aus? Was ist realistisch? 

Das fundamentale Problem bei der Beantwortung dieser Fragen besteht darin, dass es in Sachen Brexit tatsächlich nur zu einer Verschlechterung der bisherigen Beziehungen zwischen Großbritannien  und dem verbleibenden Rest der Europäischen Union (EU 27) kommen kann. Zudem tut sich ein mehrdimensionaler Rahmen auf.

File:UK location in the EU 2016.svg
"Vereinigtes Königreich (orange) und die übrigen Staaten der Europäischen Union (blau), Stand 2018"
(Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:UK_location_in_the_EU_2016.svg /
Autor:
Furfur / Lizenz: GNU Free Documentation License, Version 1.2 or any later)

Für the UK ist die Lage klar. Das Land hat (wie alle anderen EU-Staaten) enorm von seiner Mitgliedschaft profitiert. Aus letztendlich unwichtigen Gründen wählten seit Jahrzehnten gerade konservative Politiker und Medien die EU zum beliebtesten Sündenbock. Dies nutzte ein klassischer PopulistNigel Farage – aus, um mit Hilfe der "Rupert-Murdoch - Presse" die politische Klasse gerade in England vor sich her zu treiben. In Zusammenarbeit mit dieser so genannten „right wing“ – Presse widmete er sein politisches Leben dem Ziel, dass Großbritannien die Europäische Union verlassen solle („Independence Day“). 

Am 23.06.2016 wurde sein Wirken mit dem Referendumsergebnis gekrönt. Die Wahlbeteiligung betrug 72,2 % insgesamt. 33.551.983 Wahlberechtigte gaben ihre Stimme ab. 51,9 % von ihnen stimmten für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU und 48,1 % für den Verbleib. Somit stimmten fast 17.413.500 für den Austritt und ca. 16.138.400 dagegen. Beide Wählerstimmenzahlen belegen die Plätze Eins und Zwei, die jemals in Großbritannien bei irgendeiner Wahl gezählt wurden! Das Wahlergebnis ist daher eindeutig und demokratisch legitimiert! 
File:United Kingdom EU referendum 2016 area results-de.svg
"United Kingdom EU referendum 2016 area results" (Quelle: Wikipedia / Autor: Mirrorme22 / Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported)
Leider war nur Teilen der „Politischen Klasse“ in the UK bewußt, wie sehr Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und politische Einflußnahme innerhalb der Europäischen Union positiv verschränkt sind. Der „Bevölkerung“ war es eher unklar, dass es mittlerweile eine „europäische Fertigungsindustrie“ gibt, die auf Zulieferer aus ganz Europa setzen kann.
Daraus erklärt sich das völlig idiotische Verhalten der britischen Regierung seit 2016 ausreichend: Sie kann keinen „Deal“ liefern, der britischen Interessen entsprechen könnte! Sie ist gefangen im „Wahn populistischer Ansprüche“!

Für die Europäische Union ist die Lage ebenfalls klar. Nicht nur in Großbritannien, sondern in allen Mitgliedsstaaten dient sie als Sündenbock. Zudem ist den meisten Bürgern nicht klar, „was Europa ist“! Nach den gescheiterten Referenden bezüglich einer „Europäischen Verfassung“ in 2005 (Frankreich und die Niederlande) wurde die Idee eines Europäischen Staatsgebildes verworfen! Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die EU zu einer „Vertragsgemeinschaft“ umjustiert. Das Bundesverfassungsgericht definierte nachfolgend und mit seinem „Lissabon-Urteil“ die EU als „Staatenverbund“, der keine „Kompetenz-Kompetenz“ besitzt! Brüssel regiert nicht! Das Bundesverfassungsgericht bleibt weiterhin Hüterin des deutschen Grundgesetzes, leitet aber in Zweifelsfällen Rechtsbegehren mit Kommentierung an den Europäische Gerichtshof weiter. Somit bleibt der Europäische Rechtsansatz geschützt! Alle Nationalstaaten bleiben im gleichen rechtsrahmen: abgesichert durch den Europäischen Gerichtshof! Das hat politische und wirtschaftliche Hintergründe!
Denn! Populistischen Klagen in Deutschland gegen Rettungsmaßnahmen, die den €uro schützen sollen, nachzugeben, könnte für DEN GEWINNER des €uros – Deutschlandbitter enden. Und es ist eine hart erarbeitete Tatsache, dass es innerhalb der Europäischen Union keine „nationalen Industrien“ mehr gibt. Innerhalb der EU als geographisch abgegrenztem Raum mit bald 450.000.000 Einwohnern und einer Wirtschaftskraft, die der der USA und ansatzweise der Chinas entspricht, existiert zwangsläufig auf unterschiedlichsten Ebenen eine Art Arbeitsteilung.
Und so fertigen also im Rahmen europäische Fertigungsketten wichtige Zulieferer in Großbritannien. Und es eine Tatsache, dass London der Standort der Wahl für Finanzdienstleistungen jeglicher Art ist! London ist als Finanzstandort für Europa und für die EU ein „Asset“. Das muss nicht so bleiben.
Es verbleiben fünf Grundüberlegungen: Großbritannien will alle Vorteile eines EU-Mitglieds weiterhin haben. Großbritannien will sich den Verpflichtungen einer Mitgliedschaft entziehen. Die Europäische Union verliert sowieso und ist die beste Kompromissmaschine auf diesem Planeten. Jeder Vertrag mit the UK hat Auswirkungen auf alle anderen Verträge, welche die EU mit Drittstaaten abgeschlossen hat. Gibt es irgendeine Industrie, die nicht in die EU 27 verlegt werden könnte, und sei es mit Druck?
Vor diesem Hintergrund bleibt es noch anzumerken, dass nicht nur Großbritannien seine Kompetenz verloren hat, Freihandelsabkommen abzuschließen. Dies gilt für alle EU-Mitgliedsstaaten. Die Fachkompetenz sitzt in Brüssel! Daher ist es nur folgerichtig, dass Mr. Michel Barnier mit seinem Team alle Verhandlungen zentral führt! Und der Mann macht das sehr gut: Er fragt ALLE Parteien, bezieht alle Beteiligten ein, stimmt sich mit dem EU-Parlament ab, bereist alle EU-Staaten zwecks Abstimmung regelmäßig und systematisch, erklärt sich zudem in den USA oder in Japan und ist sich nicht zu fein, auch die belgische oder die bayrische Provinz zu bereisen. Sein Team ist wohl ausgesucht! Von dieser Seite aus mag es als klar erscheinen: Die EU und the UK werden in Zukunft zwischen Kanada und Norwegen liegen, was das zukünftige Verhältnis anbelangt. Eher entweder als oder. Und zwar wegen der Feinheiten!
Gerade wegen des unnachahmlichen Chaos, welche seit zwei Jahren in der Politik in London vorherrscht, gilt es, sich dem Artikel 50 des Vertrages über die Europäische Union zu widmen.
Dort stehen in Artikel 2 und 3 in der deutschen Auslegung zwei Sätze:
> Der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments.
>  Die Verträge finden auf den betroffenen Staat ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der in Absatz 2 genannten Mitteilung keine Anwendung mehr, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat einstimmig, diese Frist zu verlängern.
Hier darf ein Hinweis auf Deutsche Geschichte nicht fehlen und genügen, um einen Vergleich zu ermöglichen! Die Mauer fiel am 09.11.1989. Keine elf Monate später, am 03.10.1990, war Deutschland als souveräner Staat wieder vereinigt! Artikel 50 gewährt keineswegs zu wenig Zeit. Die Aufgabe für Helmut Kohl war ungleich schwieriger, komplizierter und fast unmöglich zu lösen!
Man darf klar benennen, was seit bald zwei Jahren überhaupt zur Debatte steht. Es geht um ein Austrittsabkommen: „Wie wollt ihr Britten raus?“ „ Was ist mit Euren bisher eingegangenen Verpflichtungen?“Wie sieht Eure Lösung für Nord-Irland aus?“ Spätestens dann, wenn Politiker aus London schon heute ein zukünftiges „Freihandelsabkommen“ im Ausstiegsvertrag einfließen lassen wollten, müßten alle nationalen Parlamente zustimmen!
Tony Blair hat vor ein paar Tagen dem Wirtschaftsdienst Bloomberg ein Interview gegeben. Er verwies auf die ungebrochene Fähigkeit der EU, Kompromisse finden zu können, auch in der „elften Stunde“, wenn die Uhren angehalten werden. Natürlich deutete er Möglichkeiten für Kompromisse an. Und er machte klar, dass die Europäische Union keinerlei Kompromisse hinsichtlich ihres Rechtsrahmens als Vertragsgemeinschaft machen kann: der Europäische Gerichtshof bleibt eine Tatsache nicht nur für Mitgliedsstaaten!
Was Tony Blair und die politische Klasse in Großbritannien wohl eher weniger verfolgt haben , betrifft den Umgang der deutschen Regierung zur Zeit der „Griechenlandkrise“ mit Griechenland! Warum waren Merkel und Schäuble so mitleidlos? Weil Leute vor deutschen Gerichten gegen die Beihilfen geklagt hatten!
Es bleibt festzuhalten! Die Zeiten aus ferner Vergangenheit in den 1980er Jahren, in denen Regierungschefs irgendetwas beschließen konnten, sind vorbei. Jeder Vertrag, der britischen Unternehmen oder Institutionen abseits des Unionsrechts der EU „bessere“ Konditionen als deutschen Bürgern, Institutionen oder Unternehmen gewähren könnte, würde alsbald vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischem Gerichtshof mit etlichen Klagen enden!
Wer das Europäische Parlament beleidigen will, der schicke Nigel Farage dorthin. Dieser Abgeordnete hat sich mit voller Absicht einen Spitzenplatz gesichert: Das Geld und seine zukünftige Pension sichern! Aber möglichst niemals selbst in Kernbereichen des EU-Parlaments selbst arbeiten. Nicht in Ausschüssen, nicht in Arbeitsgruppen, nicht einmal nirgendwo … Dass die britische Regierung das EU-Parlament aus innenpolitischen Gründen mißachtet, ist ein dummer Fehler.
Jedoch wird auch das am Kernproblem nichts ändern: Ein „Fudge-Brexit“ ist nicht möglich, weil mittlerweile ein funktionierendes Rechtssystem innerhalb der Europäischen Union existiert! Sollten irgendwelche dämlichen Ungarn, Britten oder Polen das anders sehen, so wäre das für Entscheidungen deutscher Gerichte völlig unwichtig!

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