Moabiter Plaudereien; 10.11.2013
Gestern war ich spazieren. Eine mir seit
einiger Zeit erstaunlich schnell recht vertraut gewordene ältere Dame
verbrachte ihre Zeit mit mir. Ihre Hündin „Inga“ kann mich mittlerweile
ertragen, ja paßt sogar auf mich auf.
Warum wir
uns trafen? Das tut schon zur Sache. Eigentlich ging es um Familienpolitik auf
operativer Ebene. Ich holte sie vom Hauptbahnhof ab und wir spazierten durch
die nähere Umgebung. Charité, Kaffees, der Invalidenfriedhof und Sarah Wiener waren unsere Ziele. Und die Europacity ließ Vorahnungen anschaulich
werden und Berlin als tägliches Neubauwunder erscheinen.
Soviel darf
ich immer verraten: „Sabine“ ist der Vorname. Und Sabine hat in Deutschland sehr
viel für Scheidungskinder getan, war
als Juristin tätig, kannte nicht nur Herrn Lummer
und darf sich im Reichstag Ecken anschauen,
die ich mir nicht anschauen darf!
Es war ein
schöner Nachmittag mit Gesprächsaustausch und Stöckchen werfen. Mit Anekdoten
und Ideen für die Zukunft.
Familiengerichte
und Jugendämter waren Thema. In Hamburg hatte man in den siebziger Jahren die
Idee, die Bestuhlung in den Familiengerichtssälen in Form eines „runden Tisches“
zu gruppieren. Welch ein Unterschied zur heutigen Situation in Berlin.
Um uns ein
wenig vor der Welt gruseln zu können, tauschten wir Anekdoten über die Jugendämter in Berlin aus. Steglitz,
Charlottenburg und Prenzlauer Berg kommen dabei immer schnell schlecht weg.
Mitte erscheint als erträglich. Ein guter Rat zwecks Linderung der Seelenpein:
Niemals ohne familienjuristisch geschulten Beistand bei diesen Ämtern
erscheinen! Die Gesetzes- und die Aktenlage sind entscheidend für die
Arbeit der Behörden! Da hilft Eltern kein „gesunder Menschenverstand“ sondern
nur einbezogenes juristisches Fachwissen weiter.
Vom Hamburger Bahnhof kommend bogen wir nach
rechts in die Heidestarße ein. An der Ecke entstehen gerade zwei weitere
Hotels. Insgesamt sind damit bereits heute sechs oder sieben Hotelbauten direkt um den Hauptbahnhof herum
gruppiert.
Wir wechselten also spontan das Thema. Ich wurde für Sabine zum
Touristenführer. Und wir fingen uns alsdann gegenseitig beim immer wiederkehrenden Staunen ein.
Genau hier
ist die „Europacity“ am entstehen.
Das Total-Hochhaus steht mit seinen 18 Etagen bereits
als weißer Monolith und noch solitär. Letzteres wird sich bald ändern. Über
eine Fläche von ca. 600 Metern (West nach Ost) mal ca. 1,2 Kilometern (Nord
nach Süd) entsteht eine „neue Stadt“ im
Herzen Berlins die das, was am Potsdamer Platz entstanden ist, leicht in
den Schatten stellen wird.
Östlich zwischen Heidestraße und
Dingsda-Kanal befindet sich ein separater Streifen besten Baulands in
Nord-Süd-Richtung. Noch steht dort die Baracke, die bis vor kurzem das
wunderbare Möbelhaus EXEDRA
beherbergt hat. Die Sammlung Flick immerhin wird
in ihrer eigenen Unterkunft vor Ort bleiben. Schon seit Monaten wurden alle
weiteren Gebäude (bis auf Reste) nach Norden hin abgetragen und das Erdreich
für die anstehenden Baumaßnahmen dort durchforkt. Ein Stadtteil mit Uferpromenade, vielleicht mit einem Hafen für die gut
Betuchten und sicherlich mit Blickmöglichkeiten in die Ferne nach Osten, wird
entstehen. Wer möchte nicht von der Sonne
am Morgen begrüßt werden?
Die Heidestraße selbst wird daher momentan
für das neue Viertel, für die „neue Stadt“, umgebaut! Versorgungsleitungen müssen verlegt werden. Die neue Nord-Süd-Anbindung des Hauptbahnhofes
und der Europacity an den S-Bahn-Ring
ist im Bau! Wir schauten konsterniert in die breiten, langen, tiefen Gräben,
die heute bis fast zu unseren Füßen mit Wasser gefüllt sind und zukünftig die
unterirdisch fahrende Bahn aufnehmen sollen. Wie man sowas überhaupt hinkriegen
kann? Welche Kräfte müssen die gewaltigen Querverstrebungen wohl auffangen? Wie
soll das Grundwasser aus diesen
Gräben jemals dauerhaft entfernt werden können? Ein Mysterium für Ingenieure!
Westlich davon bis zur Lehrter Straße und
weiter nach Norden wird ein Großteil der neuen Bauten der Europacity entstehen.
Ein neues Straßengitter wird angelegt werden. Auch hier wird man zentral
inmitten der wachsenden Stadt wohnen können und seinen eigenen Blick in die
Ferne genießen können.
Denn das
wird ein Highlight des neuen
Viertels bleiben. Man kann von dort weit nach Westen, Norden, Osten oder Süden blicken, weil Sichtachsen in alle Himmelsrichtungen
freibleiben werden. Das gilt natürlich nicht für jeden Mieter.
Die weltweite Finanzkrise seit 2008
zeitigte für die Stadt Berlin erstaunliche
Resultate! Es wird gebaut wie schon lange nicht mehr.
Am Breitscheidplatz entsteht mittlerweile
das zweite 120-Meter-Hochhaus.
Das Bikini-Ensemble ist fast fertig
umrenoviert und wartet auf seine Eröffnung. Die Bundesministerien des Inneren
und für Wissenschaft realisieren
gerade die letzten Schritte ihrer Neubauten in der Nähe des Kanzleramtes. Die Museumsinsel wird mit dem neuen Eingangsgebäude erweitert und umgebaut. Das Humboldt-Forum entsteht in Stadtschloß-Form.
Die U5 wird irgendwann tatsächlich fahren und
die Staatsoper Unter den Linden ihre
Champignons züchten dürfen. Offenbar wird momentan tatsächlich der erste 150-Meter-Turm am Alexanderplatz geplant. Am Leipziger
Platz entsteht nicht weniger als ein hochverdichtetes Super-Einkaufen-Wohnen-Geschäfte-machen-Viertel!
Wir setzten
uns auf eine Bank vor der ehemaligen Mauer des Reformgefängnisses
Moabit und waren ob dieser Aufzählung kurz fassungslos. Wir
beide können uns noch an das „alte West-Berlin“, an den Mauerfall und an die Baumaßnahmen in Friedrichstraße und am Potsdamer
Platz erinnern.
Das Geld fließt momentan als Sturzflut nach Berlin. Es findet seine
Ziele in der ganzen Stadt!
In Neukölln soll das Estrel
einen zweiten Turm bekommen. Sogar der Steglitzer
Kreisel scheint einen Investor gefunden zu haben. Die Mietpreise
im Bezirk Neuköln sollen so sehr gestiegen sein, dass ditte Jobcenter dort die
Mietkosten nicht mehr akzeptieren will! So manchem Investor wird klar, dass der
Wedding tatsächlich kaum
Kriegsschäden dafür aber Altbauten en masse mit direkter Anbindung an Autobahn und
Ringbahn hat. In Charlottenburg wird
jede Baulücke genutzt. Der Nachfolger der
Deutschlandhalle ist fast fertig. Nur das ICC muß noch gesprengt werden, und es wird sich Geld dafür finden
lassen! Selbst in Mariendorf steigen
die Mietpreise! Die Leerstandsquote in
Berlin insgesamt soll mittlerweile bei 1,5% liegen!
Also saßen
Sabine und ich auf unserer Bank mit Inga zu unseren Füßen. „Wie hoch ist eigentlich Deine Miete?“ Unserer beider wäre einem
Familiengericht in Berlin immer zu hoch, obwohl wir im unteren Drittel derer
liegen, die wir kennen (und die nicht im Tiergarten unter Brücken oder
Strichern leben). Pfff.
Der Mechanismus des Kapitalismus wurde uns
beiden Halb-Laien nicht mehr so richtig klar. In einer Zeit, in der „eine Finanzkrise“ herrscht, da strömt das
Geld seit 2008 nach Berlin? Und als
wir uns alle vorher richtig anstrengen mußten (z. B. ab den Schröderschen Reformen spätestens), da
floss es nach Spanien? Wir vermuteten, dass soziale Marktwirtschaft und Kapitalismus
nicht exakt das Gleiche sind!
Egal! Selbst an unserer kleinen Bank, 500
Meter entfernt vom Hauptbahnhof, liefen Menschen an uns vorbei und redeten die Sprachen, die man heute in Berlin „all over the place“ hört. Man kommt
sich vor, als wäre die Welt nach Berlin gekommen und hätte ihre Kinder gleich
mitgebracht!
Wahrscheinlich werde ich alt. Es mag sein, dass in China gleich ganze Wolkenkratzer-Städte
hochgezogen werden!?! Und der BER sei weiterhin eine Farce! Aber ich gönne
dieser meiner Stadt diesen Wiederaufstieg und diese Umwälzung. Trotz
Nationalsozialismus, Zerstörung, (SPD-)Sozialismus und Mauer-Teilung! Es muß was dran sein an Berlin, diesem Ort der Begierde. Und an den Menschen, die hier Ziele verfolgen
und dafür arbeiten! Und der momentane Geldregen der Investoren hilft
gewaltig! Und 40.000 Netto-Neubürger
pro Jahr können sich nicht irren ;-)
Wir werden in diesem Blog eine kleine
Reihung alsbald neu einführen: „Interviews mit Sabine und Frank“!