Montag, 11. November 2013

Ein Spaziergang mit Freundin – von Familienpoltik zur Finanzkrise und zum Berliner Bauboom



Moabiter Plaudereien; 10.11.2013

Gestern war ich spazieren. Eine mir seit einiger Zeit erstaunlich schnell recht vertraut gewordene ältere Dame verbrachte ihre Zeit mit mir. Ihre Hündin „Inga“ kann mich mittlerweile ertragen, ja paßt sogar auf mich auf.

Warum wir uns trafen? Das tut schon zur Sache. Eigentlich ging es um Familienpolitik auf operativer Ebene. Ich holte sie vom Hauptbahnhof ab und wir spazierten durch die nähere Umgebung. Charité, Kaffees, der Invalidenfriedhof und Sarah Wiener waren unsere Ziele. Und die Europacity ließ Vorahnungen anschaulich werden und Berlin als tägliches Neubauwunder erscheinen.

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"Füsse" (Quelle: Wikipedia / Autor: Aleser / Lizenz: public domain)
Soviel darf ich immer verraten: „Sabine“ ist der Vorname. Und Sabine hat in Deutschland sehr viel für Scheidungskinder getan, war als Juristin tätig, kannte nicht nur Herrn Lummer und darf sich im Reichstag Ecken anschauen, die ich mir nicht anschauen darf!

Es war ein schöner Nachmittag mit Gesprächsaustausch und Stöckchen werfen. Mit Anekdoten und Ideen für die Zukunft.

 Familiengerichte und Jugendämter waren Thema. In Hamburg hatte man in den siebziger Jahren die Idee, die Bestuhlung in den Familiengerichtssälen in Form eines „runden Tisches“ zu gruppieren. Welch ein Unterschied zur heutigen Situation in Berlin.

Um uns ein wenig vor der Welt gruseln zu können, tauschten wir Anekdoten über die Jugendämter in Berlin aus. Steglitz, Charlottenburg und Prenzlauer Berg kommen dabei immer schnell schlecht weg. Mitte erscheint als erträglich. Ein guter Rat zwecks Linderung der Seelenpein: Niemals ohne familienjuristisch geschulten Beistand bei diesen Ämtern erscheinen! Die Gesetzes- und die Aktenlage sind entscheidend für die Arbeit der Behörden! Da hilft Eltern kein „gesunder Menschenverstand“ sondern nur einbezogenes juristisches Fachwissen weiter.

Vom Hamburger Bahnhof kommend bogen wir nach rechts in die Heidestarße ein. An der Ecke entstehen gerade zwei weitere Hotels. Insgesamt sind damit bereits heute sechs oder sieben Hotelbauten direkt um den Hauptbahnhof herum gruppiert.

Wir wechselten also spontan das Thema. Ich wurde für Sabine zum Touristenführer. Und wir fingen uns alsdann gegenseitig beim immer wiederkehrenden Staunen ein.

Genau hier ist die „Europacity“ am entstehen. Das Total-Hochhaus steht mit seinen 18 Etagen bereits als weißer Monolith und noch solitär. Letzteres wird sich bald ändern. Über eine Fläche von ca. 600 Metern (West nach Ost) mal ca. 1,2 Kilometern (Nord nach Süd) entsteht eine „neue Stadt“ im Herzen Berlins die das, was am Potsdamer Platz entstanden ist, leicht in den Schatten stellen wird.

Östlich zwischen Heidestraße und Dingsda-Kanal befindet sich ein separater Streifen besten Baulands in Nord-Süd-Richtung. Noch steht dort die Baracke, die bis vor kurzem das wunderbare Möbelhaus EXEDRA beherbergt hat. Die Sammlung Flick immerhin wird in ihrer eigenen Unterkunft vor Ort bleiben. Schon seit Monaten wurden alle weiteren Gebäude (bis auf Reste) nach Norden hin abgetragen und das Erdreich für die anstehenden Baumaßnahmen dort durchforkt. Ein Stadtteil mit Uferpromenade, vielleicht mit einem Hafen für die gut Betuchten und sicherlich mit Blickmöglichkeiten in die Ferne nach Osten, wird entstehen. Wer möchte nicht von der Sonne am Morgen begrüßt werden?

Die Heidestraße selbst wird daher momentan für das neue Viertel, für die „neue Stadt“, umgebaut! Versorgungsleitungen müssen verlegt werden. Die neue Nord-Süd-Anbindung des Hauptbahnhofes und der Europacity an den S-Bahn-Ring ist im Bau! Wir schauten konsterniert in die breiten, langen, tiefen Gräben, die heute bis fast zu unseren Füßen mit Wasser gefüllt sind und zukünftig die unterirdisch fahrende Bahn aufnehmen sollen. Wie man sowas überhaupt hinkriegen kann? Welche Kräfte müssen die gewaltigen Querverstrebungen wohl auffangen? Wie soll das Grundwasser aus diesen Gräben jemals dauerhaft entfernt werden können? Ein Mysterium für Ingenieure!

Westlich davon bis zur Lehrter Straße und weiter nach Norden wird ein Großteil der neuen Bauten der Europacity entstehen. Ein neues Straßengitter wird angelegt werden. Auch hier wird man zentral inmitten der wachsenden Stadt wohnen können und seinen eigenen Blick in die Ferne genießen können.

Denn das wird ein Highlight des neuen Viertels bleiben. Man kann von dort weit nach Westen, Norden, Osten oder Süden blicken, weil Sichtachsen in alle Himmelsrichtungen freibleiben werden. Das gilt natürlich nicht für jeden Mieter.

Die weltweite Finanzkrise seit 2008 zeitigte für die Stadt Berlin erstaunliche Resultate! Es wird gebaut wie schon lange nicht mehr.

Am Breitscheidplatz entsteht mittlerweile das zweite 120-Meter-Hochhaus. Das Bikini-Ensemble ist fast fertig umrenoviert und wartet auf seine Eröffnung. Die Bundesministerien des Inneren und für Wissenschaft realisieren gerade die letzten Schritte ihrer Neubauten in der Nähe des Kanzleramtes. Die Museumsinsel wird mit dem neuen Eingangsgebäude erweitert und  umgebaut. Das Humboldt-Forum entsteht in Stadtschloß-Form. Die U5 wird irgendwann tatsächlich fahren und die Staatsoper Unter den Linden ihre Champignons züchten dürfen. Offenbar wird momentan tatsächlich der erste 150-Meter-Turm am Alexanderplatz geplant. Am Leipziger Platz entsteht nicht weniger als ein hochverdichtetes Super-Einkaufen-Wohnen-Geschäfte-machen-Viertel!

Wir setzten uns auf eine Bank vor der ehemaligen Mauer des Reformgefängnisses Moabit und waren ob dieser Aufzählung kurz fassungslos. Wir beide können uns noch an das „alte West-Berlin“, an den Mauerfall und an die Baumaßnahmen in Friedrichstraße und am Potsdamer Platz erinnern.

Das Geld fließt momentan als Sturzflut nach Berlin. Es findet seine Ziele in der ganzen Stadt!

In Neukölln soll das Estrel einen zweiten Turm bekommen. Sogar der Steglitzer Kreisel scheint einen Investor gefunden zu haben. Die Mietpreise im Bezirk Neuköln sollen so sehr gestiegen sein, dass ditte Jobcenter dort die Mietkosten nicht mehr akzeptieren will! So manchem Investor wird klar, dass der Wedding tatsächlich kaum Kriegsschäden dafür aber Altbauten en masse mit direkter Anbindung an Autobahn und Ringbahn hat. In Charlottenburg wird jede Baulücke genutzt. Der Nachfolger der Deutschlandhalle ist fast fertig. Nur das ICC muß noch gesprengt werden, und es wird sich Geld dafür finden lassen! Selbst in Mariendorf steigen die Mietpreise! Die Leerstandsquote in Berlin insgesamt soll mittlerweile bei 1,5% liegen!

Also saßen Sabine und ich auf unserer Bank mit Inga zu unseren Füßen. „Wie hoch ist eigentlich Deine Miete?“ Unserer beider wäre einem Familiengericht in Berlin immer zu hoch, obwohl wir im unteren Drittel derer liegen, die wir kennen (und die nicht im Tiergarten unter Brücken oder Strichern leben). Pfff.

Der Mechanismus des Kapitalismus wurde uns beiden Halb-Laien nicht mehr so richtig klar. In einer Zeit, in der „eine Finanzkrise“ herrscht, da strömt das Geld seit 2008 nach Berlin? Und als wir uns alle vorher richtig anstrengen mußten (z. B. ab den Schröderschen Reformen spätestens), da floss es nach Spanien? Wir vermuteten, dass soziale Marktwirtschaft und Kapitalismus nicht exakt das Gleiche sind!

Egal! Selbst an unserer kleinen Bank, 500 Meter entfernt vom Hauptbahnhof, liefen Menschen an uns vorbei und redeten die Sprachen, die man heute in Berlin „all over the place“ hört. Man kommt sich vor, als wäre die Welt nach Berlin gekommen und hätte ihre Kinder gleich mitgebracht!

Wahrscheinlich werde ich alt. Es mag sein, dass in China gleich ganze Wolkenkratzer-Städte hochgezogen werden!?! Und der BER sei weiterhin eine Farce! Aber ich gönne dieser meiner Stadt diesen Wiederaufstieg und diese Umwälzung. Trotz Nationalsozialismus, Zerstörung, (SPD-)Sozialismus und Mauer-Teilung! Es muß was dran sein an Berlin, diesem Ort der Begierde. Und an den Menschen, die hier Ziele verfolgen und dafür arbeiten! Und der momentane Geldregen der Investoren hilft gewaltig! Und 40.000 Netto-Neubürger pro Jahr können sich nicht irren ;-)

Wir werden in diesem Blog eine kleine Reihung alsbald neu einführen: „Interviews mit Sabine und Frank“!

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