Mittwoch, 14. August 2013

Der Tag, an dem Egon Bahr an mir vorbeischritt



Moabiter Plaudereien; 14.08.2013

Egon Bahr war enger Weggefährte von Willy Brandt und gilt als Vordenker der Ost- und Entspannungspolitik der BRD gegenüber dem Ostblock. Heute stellte er erstmalig seine Erinnerungen an Willy Brandt vor („Das mußt Du erzählen“).

Heute jährt sich auch der Tag des Mauerbaus. Die Zeitungen in Berlin gedenken seit Tagen der vielen Toten, die an diesem „sozialistische Schutzwall“ ihr Leben ließen. 

File:Egonbahr2005.jpg
"Egon Bahr 2005" (Quelle: Wikipedia; Author: Holger Noß; Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 2.5 Generic)
Der Fall der Mauer wiederum darf im kommenden Jahr gefeiert werden. 25 Jahre! Viele Konservative und gerade viele Amerikaner werden die Verdienste dafür alleine Ronald Reagan oder dem Kanzler der Einheit Helmut Kohl  zuschreiben.

Die Legende lautet, dass Ronald Reagan die „Sowjets“ zu Tode gerüstet habe und Helmut Kohl dann 1989 die Gunst der Revolution in der DDR ergriffen hat. Der zweite Teil der Legende ist richtig.

Helmut Kohl hat zu Recht seinen Platz in den Geschichtsbüchern. Er hatte gegen alle Widerstände auf Seiten der Westalliierten einen Draht zu Gorbatschow gefunden und konnte sowohl die westdeutsche Innenpolitik lenken als auch die ostdeutsche beeinflussen. Er konnte das erreichen, weil er durch seine eigene Person und vorbereitet durch die Entspannungspolitik alle Ängste vor einem „Vierten Reich“ ausräumen konnte!

Dafür war die Vorarbeit, die Willy Brandt z. B. mit seinem Kniefall in Warschau und mit seiner Ostpolitik erbracht hatte eine „conditio sine qua non“. 

Ronald Reagan hätte die „Sowjets“ niemals zu Tode rüsten können, wenn diese weiterhin an einen westlichen Beelzebub geglaubt hätten. Der Sieg über Nazi-Deutschland war unter unglaublichen Verlusten und mit unsäglichem Leid erkauft worden! Die Sowjets hätten wie das heutige Nord-Korea fast ewiglich weiter machen können! Die Kims unserer Zeit schaffen das bekanntermaßen eh mit einem Bruchteil der Ressourcen, welche die Sowjetunion jemals hatte!

Exakt der Bann des Menetekels „Nazi-Deutschland“ war 1989 durch die langjährige Erfahrung Rußlands in den Jahren der Entspannungspolitik gebrochen worden. Der stete Tropfen höhlt den Stein! Der Ghostwriter dafür war Egon Bahr!

Heute also die Buchpräsentation dieses altgedienten Mannes der SPD und Deutschlands. Das Ambiente war wunderbar gewählt. Die Hansa-Bibliothek im „neuen“ Hansaviertel wurde wie das ganze Viertel im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) 1957 errichtet. Das alte Hansaviertel mit seinen prunkvollen Gebäuden war im Krieg nahezu vollständig zerstört worden.

Hier stehen heute Hochhäuser, die 1957 aus West-Berliner Sicht die Ost-Berliner „Kathedralen“ der Bauten an der „Karl-Marx-Alle“ mit „freiheitlich-westlicher“ Kraft überstrahlen sollten. Damals war der Tiergarten ein Gemüsebeet. Damals konnte man von West nach Ost oder retour über Kilometer hinweg den Wettbewerb der Bauten beobachten. Heute möchte der Berliner Senat beide Quartiere gemeinsam ins Weltkulturerbe aufgenommen wissen.

Die Veranstaltungsräume waren bereits eine Stunde vor Beginn der Lesung geschlossen worden. Es kamen vielleicht zu viele 55 – 75-jährige, die Anekdoten über „ihren Willy“ hören wollten. West-Berliner dominierten das Publikum.

Das heutige Berlin konnte man eher draußen erahnen. Das Hansaviertel ist nur noch ein Viertel unter vielen. Schon seit Jahrzehnten überragt es die westliche Hälfte Berlins nicht mehr. Es ist ein Quartier unter vielen anderen in einer immer größer werden Stadt geworden. Der Tiergarten wuchert mit mittlerweile sehr stattlichen Bäumen bis vor die Hauseingänge der Gebäude.

Die Berliner Moderne ist über dieses Viertel und über diesen wunderbaren Abend zwar hinweggegangen. Die Wurzeln für das Berliner Glück der Gegenwart und der Zukunft wurden aber an Orten wie dem Hansaviertel von Menschen wie Egon Bahr gelegt.

Heute abend saß also der Blogger dieser Zeilen nun geraume Zeit auf einer Bank vor dem Gebäude der Bücherei, machte sich Gedanken über die Größe des vorbeischreitenden Herrn Bahr und grüßte die Leitung der Bücherei. Dabei bewunderte er einen bayrischen Himmel über Berlin und sah den Halbmond von links nach rechts am Kreuz der Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche vorbeiziehen. Welch malerisches Ambiente.

Von den Dächern der umliegenden Gebäude ließen die unvermeidlichen Nebelkrähen ihr Gekrächze erklirren und  versuchten, „Nüsse“ auf den Gehwegplatten aufplatzen zu lassen. Gut gekleidete „Berliner Senioren“ suchten in Mülleimern nach Pfandflaschen.  Der Boden erzitterte durch die querende U-Bahn. Touristen „knipsten“ die Schaulustigen vor der Glasfront der Hansa-Bibliothek. Berlin.

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