Wilhelm
Schmid, Autor und Philosoph in Berlin, hat in der Wochenendausgabe der
Süddeutschen Zeitung (SZ) einen Artikel veröffentlicht, der sich mit dem Unglücklichsein
befasst.
„Lernt, unglücklich zu sein! – Glücklichsein wird
überschätzt, Zufriedenheit ist wenig schöpferisch. Die wahren Weltveränderer
sind die Unglücklichen“
„Die größten Leistungen der Menschheit sind
nicht den Glücklichen und Zufriedenen zu verdanken. Nicht sie haben die
Französische Revolution veranstaltet. Auch Beethoven muss man sich nicht als
einen glücklichen Menschen vorstellen. Die wenigsten Werke der Kunst, auch der
Technik, entstanden aus Zufriedenheit.“
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"Bei Unglück bedarf es eines Engels" (Wikimedia Commons -GNU Free Documentation License (FDL)) |
Was soll man
mit dieser verkopften Argumentation anfangen? Die größten Risiken für das
persönliche Glück eines Menschen in Deutschland liegen im Tod, in Krankheit,
Arbeitsplatzverlust, Verlust des Vermögens, Scheidung und Verlust des Partners
oder Verlust eines Kindes.
Ein Mensch
kann Unglück nicht nur empfinden, er kann ein Unglück erleiden. Angst und
Depression kommen dann gern zu Gast.
Wer jemals
erlebt hat, wie eine verlassene Ehefrau wirkt, die vom Mann verlassen alleine in
einem riesigen Haus sitzt und nicht weiß, wie sie die monatlichen Raten
aufbringen soll, der weiß, wie Angst aussieht.
Wem jemals
als Vater vor einem Berliner Familiengericht die Vorwürfe nur so um die Ohren
gedroschen wurden, der weiß, wie sich Angst anfühlt. Das Standardrepertoire der
Vorwürfe lautet: Gewalttätigkeit, Alkoholismus und Drogenmissbrauch,
Kindsmissbrauch und „Unfähigkeit zur Erziehung“. Die Konsequenzen erahnt jeder
Vater schnell. Er verliert den Umgang mit seinem Kind.
Wer jemals
mitbekommen hat, wie verzweifelt Menschen reagieren, wenn Ihnen
Arbeitslosigkeit droht, wie aktionistisch, wie ängstlich oder irgendwann
phlegmatisch sie reagieren, der kann die reale Angst vor Hartz-IV recht schnell
mitempfinden. Wohlfeile argumentative Schrappnells über das „gute Leben“ von Menschen,
die „auf Kosten der Allgemeinheit“ leben unterbleiben dann eine Zeit lang.
Soll man
diesen Leuten ernsthaft Beethoven als Vorbild andienen?
Borwin
Bandelow hat sich 2006 in seinem Buch „Das Angstbuch“ mit der Angst als einer
Form des Unglücks befasst. „Die
Emotionen, die uns am meisten beschäftigen, sind die, die mit unserem Verlangen
nach Wärme, Geborgenheit, Liebe oder Sex verbunden sind. Und die Angst, diese
vertraut gewordenen und angenehmen Gefühle wieder verlieren zu können, ist
nicht weit davon entfernt.
Angst ist allgegenwärtig. Sie
bestimmt, ob wir verzagte oder mutige, strebsame oder untätige, nachgiebige
oder durchsetzungsfähige, liebenswürdige oder streitbare, disziplinierte oder
nachlässige, humorvolle oder ernste, fröhliche oder niedergeschlagene,
charmante oder unhöfliche, nachdenkliche oder sorglose Menschen werden.“
„Ein bisschen Angst muss jeder haben – diese allgemeine
Weisheit trifft zu. Wer vorsichtig Auto fährt, die Türen gut abschließt oder
sich auf Prüfungen aus Angst vor dem Versagen lange vorbereitet, hat durchaus
Vorteile im Leben.“
Was hilft diese
Erkenntnis, wenn Unglück einen ereilt? Unglück, Angst und Depression führen oft zu
einem Anstieg des Alkohol- und Drogenkonsums, verblüffenderweise zu zwanghaftem Onanieren und nicht selten zu
Vereinsamung. Wer will das schon?
Bandelow
gibt Ratschläge speziell für Ängste, die man aber auch bei Depressionen
beherzigen sollte.
●
Psychotherapie als professionelle Hilfe nutzt!
●
Medikamente, die von einem Facharzt verschrieben werden, nutzen!
● Man kann
an sich selbst arbeiten:
● Mit Unglück muss man sich
abfinden. Unglück ist real.
● Angst darf nicht den Alltag
bestimmen. Angst ist ein Gefühl.
● Man muss sich zusammenreißen.
Wann, wenn nicht dann, wenn es
darauf ankommt?
darauf ankommt?
● Ablenkungen sind schädlich, um sich
aus einem Unglück befreien zu
können. Alkohol und Drogen sind absolut tabu.
● Man braucht Gleichgesinnte, mit
denen man sich austauschen kann.
Der eigene Freundeskreis hört sich die Geschichten der gescheiterten
Ehe selten lange gerne an. Selbsthilfegruppen sind allerdings ein
wenig mit Vorsicht zu genießen.
wenig mit Vorsicht zu genießen.
● Die überwältigende Mehrheit der Menschen überlebt
ein Unglück.
Man stirbt nicht daran. Es gibt definitiv eine Zukunft!
Man stirbt nicht daran. Es gibt definitiv eine Zukunft!
● Sport ist ganz wichtig!
● Zeit heilt
alle Wunden.
Mehr Trost
kann ein Mensch leider nicht erwarten. Diese Ratschläge sind immerhin hilfreicher, als sich
Beethoven zumVorbild zu nehmen. Und professionell onanieren kann man ja offenbar immer.
Quellen:
Süddeutsche
Zeitung (SZ) – Seite 2; 08./09.09.2012
Borwin Bandelow:
„Das Angstbuch“; Rowohlt Taschenbuch Verlag; 2006
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