Montag, 10. Februar 2014

Berlin(ale) – ganz großes Kino



Vor zwanzig Jahren war alles anders. Die Stadt wußte damals noch nicht, was auf sie zukommen würde. Und die Berlinale 1994 war noch genauso nett provinziell wie zuvor zu Mauerzeiten.

Filme der Berlinale wurden im Zoo Palast oder im Royal Palast gezeigt. Für Karten mußte man sich im Europa-Center anstellen. Am Potsdamer Platz wurden zu der Zeit gerademal Baugruben geflutet, wenn überhaupt.

Wer schlau war, der konnte tatsächlich bequem und telefonisch Karten auch bei ausgewählten Theaterkassen erwerben. Hilfreich zur Auswahl von Filmen war es schon damals, sich auch mal im Programm vorher anzulesen, welches Thema ein Film eigentlich behandelt.

File:Bundesarchiv Bild 146-1971-003-65, Berlin, Kameramänner vor dem Schloss.jpg
"Kameramänner bei der Arbeit in Berlin (und ohne Berlinale), 1907"
(Quelle: Wikipedia / Source: Bundesarchiv, Bild 146-1971-003-65 / Haeckel, Otto / CC-BY-SA /
Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany)
Mir muß damals ein Fehler unterlaufen sein. Ich besorgte zwei Karten für einen Kumpel und mich und wir fanden uns in einem Schwulenfilm wieder. Der Saal war mit bekannten und unbekannten Homosexuellen gefüllt und wir sahen und hörten überdeutlich, was es genau bedeutet, wenn mann über den Unterschied zwischen „fucken an geddin fucked“ sinniert. Bei Heteros kann sich ein Schwulenfilm dämpfend auf das Sprachzentrum auswirken.

Heute ist die Berlinale eine ganz andere Nummer. Während man in der alten Zeit froh war, wenn irgendein polnischer Regisseur für Weltstadtflair sorgte, kann man heute „echte Weltstars“ sehen.

Man könnte sehen, hätte man denn Karten UND einen nicht verwehrten Zutritt. Alles ist deutlich anstrengender, größer, teurer geworden. Mehr Pflichterfüllungszwang als heute gab es noch nie. Man kann nämlich wirklich was verpassen. Und dieser Druck ...

Das ist sinnbildlich für eine Stadt, in der sich momentan eine Kapitalismuswelle aufbäumt, die es in sich hat. Start Ups werden gegründet, die Mieten steigen, die Clubs in Mitte sterben aus, überall werden fremde Sprachen gesprochen und der ewige Bürgermeister bleibt. Wo soll der auch sonst schon hin?

Vor zwei, drei Jahren war Berlin noch die Hauptstadt der „digitalen Boheme“, heute soll es bereits Kapitalistenhochburg sein. Die Preise steigen schon mal an, nur die Gehälter verharren irgendwie weiterhin auf niedrigem Niveau. Noch scheinen die vielen neuen Jobs in Berlin eher für Kellner oder Touristenführer geschaffen zu werden. Oder für noch mehr Türsteher auf der Berlinale.

Wo sind die vielen tausend Jobs, die so wie in München oder in Frankfurt bezahlt werden? Weiterhin in München halt oder in Frankfurt eben.

Dieses Jahr mache ich jedenfalls Berlinale-Pause. Es ist eh nicht kalt genug. Ich geh zum Friseur. Oder ich drängle mich in letzter Sekunde doch noch durch Ellenbogenbüsche. 



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