Vor zwanzig Jahren war alles anders. Die
Stadt wußte damals noch nicht, was auf sie zukommen würde. Und die Berlinale 1994
war noch genauso nett provinziell wie zuvor zu Mauerzeiten.
Filme der Berlinale
wurden im Zoo Palast oder im Royal Palast gezeigt. Für Karten
mußte man sich im Europa-Center anstellen. Am Potsdamer Platz wurden zu
der Zeit gerademal Baugruben geflutet, wenn überhaupt.
Wer schlau
war, der konnte tatsächlich bequem und telefonisch Karten auch bei ausgewählten
Theaterkassen erwerben. Hilfreich zur Auswahl von Filmen war es schon damals,
sich auch mal im Programm vorher anzulesen, welches Thema ein Film eigentlich
behandelt.
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"Kameramänner bei der Arbeit in Berlin (und ohne Berlinale), 1907" (Quelle: Wikipedia / Source: Bundesarchiv, Bild 146-1971-003-65 / Haeckel, Otto / CC-BY-SA / Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany) |
Mir muß
damals ein Fehler unterlaufen sein. Ich besorgte zwei Karten für einen Kumpel
und mich und wir fanden uns in einem Schwulenfilm wieder. Der Saal war mit
bekannten und unbekannten Homosexuellen gefüllt und wir sahen und hörten
überdeutlich, was es genau bedeutet, wenn mann über den Unterschied zwischen „fucken an
geddin fucked“ sinniert. Bei Heteros kann sich ein Schwulenfilm
dämpfend auf das Sprachzentrum auswirken.
Heute ist die Berlinale eine ganz
andere Nummer.
Während man in der alten Zeit froh war, wenn irgendein polnischer Regisseur für
Weltstadtflair sorgte, kann man heute „echte Weltstars“ sehen.
Man könnte
sehen, hätte man denn Karten UND einen nicht verwehrten Zutritt. Alles ist
deutlich anstrengender, größer, teurer geworden. Mehr Pflichterfüllungszwang als
heute gab es noch nie. Man kann nämlich wirklich was verpassen. Und dieser Druck ...
Das ist sinnbildlich für eine Stadt,
in der sich momentan eine Kapitalismuswelle aufbäumt, die es in sich hat. Start Ups werden gegründet, die Mieten
steigen, die Clubs in Mitte sterben aus, überall werden fremde Sprachen
gesprochen und der ewige Bürgermeister bleibt. Wo soll der auch sonst schon
hin?
Vor zwei,
drei Jahren war Berlin noch die Hauptstadt der „digitalen Boheme“,
heute soll es bereits Kapitalistenhochburg sein. Die Preise steigen schon mal
an, nur die Gehälter verharren irgendwie weiterhin auf niedrigem Niveau. Noch
scheinen die vielen neuen Jobs in Berlin eher für Kellner oder Touristenführer
geschaffen zu werden. Oder für noch mehr Türsteher auf der Berlinale.
Wo sind die
vielen tausend Jobs, die so wie in München oder in Frankfurt bezahlt werden? Weiterhin
in München halt oder in Frankfurt eben.
Dieses Jahr mache ich jedenfalls Berlinale-Pause.
Es ist eh nicht kalt genug. Ich geh zum Friseur. Oder ich drängle mich in letzter Sekunde doch noch
durch Ellenbogenbüsche.
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