Moabiter Plaudereien;
06.03.2014
Beginn und Ende des Ersten Weltkriegs
liegen jetzt bald 100 Jahre zurück. Es wird ausgiebig gefeiert werden. Was bei
über 20.000.000 Toten schon ein wenig verwundert.
Und es wird
weiterhin über „Schuld“ debattiert
und ob der Krieg für die Entente ein „gerechtfertigter“
war. Ein wenig unbefriedigend ist die Vehemenz, mit der oft auf die Deutsche
Schuld verwiesen wird. Und zwar dann, wenn man gleichzeitig abstreitet ein „blame game“ spielen zu wollen. Dazu
wurde in der SZ ein prononcierter Essay des britischen
Historikers John C. G. Röhl
veröffentlicht.
Wenn man
schon auf die heutige Stimmung in der britischen oder der deutschen Bevölkerung
verweist, dann sollte man auch erwähnen, dass der „Hunne“
in Großbritannien ein gern gesehenes Feindbild bleibt. Im Rahmen der
„Eurokrise“ wurde dort all zu oft vermutet, dass dieser Hunne jetzt ein „Viertes Reich“ anstreben würde. Das
habe der ja weder in WWI noch in WWII geschafft. Die Europäische Union sei aber
das moderne Vehikel des Hunnen. Diese Wahrnehmung von Realität wird in England
gerade bei Anhängern von UKIPsehr gerne vertreten!
Insofern
irritiert die energische Penetranz, mit der die deutsche Schuld am Ausbruch des
Ersten Weltkriegs betont wird.
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"A First World War Canadian electoral campaign poster" (Quelle: Wikipedia / Autor: Library and Archives Canada/ Lizenz: public domain) |
Und wer war nun Schuld? Alle? Keiner? Allein die wissenschaftliche
Literatur zu dieser Frage füllt Regalmeter. Populärwissenschaftliche Werke
kommen hinzu. Dieses Jahr der „Jubiläen“ wird noch ein paar weitere Kilometer
hinzukommen lassen. Unstrittig ist, dass der Erste Weltkrieg durch eine Reihe
von „Mechanismen“ (ein schönes Wort) gefördert wurde. Und unstrittig ist, dass
sich die Deutsche „Regierung“ damals im höchsten Maße fahrlässig angestellt
hat!
Deutschland war ohnehin ein fahrlässig verfasster Staat. Eine Regierung mit Kabinett und
Kontrolle gab es nicht. Der Kaiser „kontrollierte“ das Militär. Tatsächlich
stellten die Einzelstaaten des Reiches anteilig das Heer und dessen adliges
Offizierscorps. Frei walten konnte der Kaiser bei der Marine und das tat er ja
auch.
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"Staaten- und Weltenlenker 1910!" - Photograph taken at the funeral of King Edward VII in 1910: seated, left to right, kings Alfonso XIII of Spain, George V of the United Kingdom & Frederik VIII of Denmark; standing, left to right: kings Haakon VII of Norway, Ferdinand of Bulgaria, Manuel II of Portugal, George I of Greece and Albert I of Belgium. Kaiser Wilhelm is seen at center, standing behind King George V. (Quelle: Wikipedia / Autor: Photographed by W. & D. Downey/ Lizenz: public domain) |
Schon unter Bismarck, dem so hoch gepriesenem,
hatte eine Politik Deutschlands angefangen, die letztendlich tödliche
Konsequenzen zeigte. Bismarck versuchte die Europäischen Mächte „abzulenken“. Daher förderte er insgeheim die Händel verschiedener Großmächte untereinander
fernab deutscher Belange und trat gleichzeitig als „ehrlicher Makler“ auf.
Diese Politik war durchschaubar und förderte das Mißtrauen und z. B. den Bruch mit Russland. Auch spätere Reichskanzler
blieben auf dieser Schiene, die durch „Erpressungsversuche“
ergänzt wurde. So war das Tirpizsche Flottenbauprogramm
gerade deswegen angeschoben worden, um England in eine Allianz mit Deutschland
„zwingen“ zu können.
Ach ja! Kaiser Wilhelm II tat seinen
individuellen, eigenen Großtropfen in das deutsche Fass der dummen Politik!
Intellekt und Grundkenntnisse in der Profession der Politik waren in Deutschen
„Regierungskreisen“ keineswegs verbreitet. Kurzum: Wenn ein Staat 1914 mit
Vollgas in den Abgrund „schlafwandelte“, dann war es Deutschland
Vor hundert
Jahren war die Welt eine andere. Europa,
besser die europäischen Großmächte galten als Nabel der Welt. Fast der gesamte Planet war kolonialisiert. Das
Selbst- und Sendungsbewußtsein der europäischen Eliten war grenzenlos.
Europäische Nationalstaaten waren höchst aggressive Institutionen und hatten seit
Jahrhunderten exzellente Kenntnisse darin, wie man sich gegenseitig überfallen
kann. Nationalismus pur
kennzeichnete alle Großmächte. Deutschland veränderte durch seine enorme
wirtschaftliche und militärische Kraft das Gleichgewicht in Europa. Das war vor
diesem Hintergrund nicht ohne Risiko. Gerade Wilhelm II und seine Berater
hätten das viel stärker einkalkulieren müssen.
Trotz der
europäischen „Größe“ und trotz der allseits verbreiteten Nabelschau gab es eine
„Erschütterung der Macht“, die alle
spürten und die nicht von Deutschland ausging, aber deutlich stärker war.
Es zeichnete
sich nämlich längst ab, dass mit den USA
und Rußland zwei Staaten alle
anderen überragten. Die späteren Supermächte hatten und haben die Größe von
Kontinenten. Ihre Bevölkerung überstieg und übersteigt die einzelner europäischer
Staaten um ein Mehrfaches. Vor diesem Hintergrund erblickte die „Theorie der drei Weltreiche“ das Licht
der Geschichte. Wer neben den beiden neuen Super-Großmächten seinen „Platz an der Sonne“ haben wollte, der
mußte sich in Europa und weltweit durchsetzen. Diese aggressive Leitidee steckte
hinter so vielen dummen Tiraden des Deutschen Kaisers. Dies erklärt auch die
tiefsitzenden deutschen Ängste vor Rußland, einer „Einkreisung“ oder einem „Zweifrontenkrieg“.
In Europa
herrschte also um die Jahrhundertwende eine höchst nervöse Stimmungslage vor. Alle Staaten
agierten so, wie sie es über Jahrhunderte gelernt hatten: Sie rüsteten auf. Der
Militarismus bestimmte die
Organisation aller europäischen Mächte. Deutschland hatte keineswegs den
höchsten Militäretat oder das größte Heer. Es hatte aber Angst einflößende
Pickelhauben und eine „Regierung“, die für schlechte Stimmung sorgte.
Innenpolitisch
rumorte es in Europa gewaltig. Die sozialen Bedingungen waren katastrophal. Letztendlich
sind die drei Reiche untergegangen,
die am sträflichsten konstituiert waren und die Bewältigung der Probleme im
Inneren scheuten. In Deutschland, Österreich-Ungarn und Rußland war die Führungselite die Farce einer Farce.
Kann sich irgendjemand an Rasputin erinnern?
Die Balkankrise war tatsächlich die Lunte,
die das Pulverfass explodieren ließ. Der erste Funke hierzu war bereits auf dem
Berliner Kongress gezündet worden und
glimmte zunächst vor sich hin. Nachdem Franz Ferdinand erschossen worden war, da brannte die Zündschnur auf einmal rasend schnell
weiter.
Es war noch
nie klug, Konflikte auf kleiner Flamme über Jahrzehnte am Köcheln zu halten. (Sowas
könnte sich in Zukunft auch mal im Nahen Osten rächen. Der ist übrigens heute
nur einen Steinwurf weiter entfernt als damals der Balkan.)
Telefone gab es damals leider nicht.
Hätten damals ein paar Nationalisten hier mit ein paar Nationalisten dort am
Telefon reden können, der Erste Weltkrieg hätte nicht stattgefunden. Oder aber
erst nach der Entwicklung der Atombombe.
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