Mittwoch, 8. Mai 2013

Gert G. Wagner – Wissenschaftliche Evidenz und Politik



Berlin Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW); 07.05.2013

„Welche Rolle kann wissenschaftliche Evidenz in der (wissenschaftlichen) Politikberatung sinnvollerweise spielen?“ Besser als Gert G. Wagner selbst kann man nicht zusammenfassen, was dieser angenehme Zeitgenosse mit seinem Vortrag bei der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften aufzeigen wollte.

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Professor Wagner ist prominentes Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Im Rahmen der wunderbaren Vortragsreihe Wissenschaftliche Politikberatung (gemeinsam von BBAW und der Leibniz-Gemeinschaft) hat er bei den bisherigen Vortragenden gerne das Entrée für Gastredner vorgetragen. Gestern nun trug er seine eigenen Überlegungen vor.

Dabei stellte er zwei „Paradoxien“ voran, die auch die Vorträge der Redner in den Monaten zuvor klar beeinflußt hatten: „Wissenschaftliche“ Politikberatung ist an sich unmöglich. Und wer Politikberatung betreibt, verläßt den Bereich der Wissenschaft und betritt das Feld der Politik.

Politik und Öffentlichkeit“ würden von der Wissenschaft prinzipiell verlangen, „unübersichtliche Probleme gelöst“ zu bekommen.

Hierbei müsse man zwischen zwei „Typen von Entscheidungen“ unterscheiden. Es gehe einerseits um „Werturteile“ (Welches Steuersystem ist „gerecht“?). Andererseits würden die „besten Instrumente“ zur Lösung von Problemen gefordert (Welche Auswirkungen eines Steuersystems kann man empirisch belegen?)

Im ersten Fall kann Wissenschaft nicht helfen. Im zweiten Fall steht Wissenschaft durchaus vor gewaltigen (oft auch nicht überwindbaren) Hürden. Und grundsätzlich gelte, dass Wissenschaftler selbst „nicht objektiv“ sein können. Gerade Ökonomen unterstellten jedem Menschen „Eigeninteressen“, würden diese aber für ihre eigene Zunft nicht gelten lassen.

Schon in vorangegangenen Vorträgen war auf die Unschärfe wissenschaftlicher Erkenntnis hingewiesen worden. Dafür gibt es einen Begriff: „Trans Science“. Manche Probleme sind zu einem bestimmten Zeitpunkt (In den 1960er Jahren: „Wie statistisch sicher sind Atomkraftwerke?“) wissenschaftlich nicht gelöst. Andere Problemfragen können grundsätzlich nicht beantwortet werden, da man z. B. die erforderliche Datenbasis für eine empirische Validierung nicht erfassen könne („Welche Auswirkungen hat „schwache Strahlung“ auf die menschliche Gesundheit?“).

Professor Wagner zeigt plastisch auf, zu welchen Anekdoten das führen kann und konnte. 

● In den 1960er Jahren (und heute) war es unmöglich festzustellen, wie „sicher“ Atomkraftwerke aus statistischer Sicht sein würden. Für eine sinnvolle Empirie hätte man viele Atomkraftwerke über einen gewissen Zeitraum oder einige Atomkraftwerke über einen langen Zeitraum statistisch erfassen müssen. 

Damals lag demnach ein Fall von „Trans Science“ vor. Wo keine Anlage überhaupt existiert, da ist wissenschaftliche Expertise oder Evidenz nicht vorhanden. Hier „wäre Bescheidenheit“ angebracht gewesen. (Zumal diese nicht vorhandene wissenschaftliche Evidenz vor Gericht bei unzähligen Prozessen in Deutschland „als objektiv richtig“ bewertet wurde -  der Blogger!)

Der Bau der Anlagen stand damals erst an. „Wissenschaftliche Erkenntnis“ wurde zwar einbezogen, konnte aber schlicht noch nicht vorhanden sein. Heute ist die Empirie nach „Three Miles Island“, „Tschernobyl“ und „Fukushima“ auf diesem Gebiet ein wenig weiter.

● Man kann Ziele definieren, um Probleme zu lösen. Man hüte sich aber davor, die Zielerfüllung unreflektiert durch die Beobachtung von Indikatoren überprüfen oder gar belohnen zu wollen.

Hier nähert sich Professor Wagner irgendwie dem guten alten „Schlangen-fangen-Mysterium“ an!  (Wer Giftschlangen durch „Tötungsprämien“ ausrotten will, der fördert den Bau von Schlangenfarmen – der Blogger.) Der Mensch handelt dann „aus Eigeninteresse“ heraus in der Weise, dass er bei Belohnungsprogrammen nicht mehr die Ziele verfolgt, sondern gemäß der Prämierung der Indikatoren vorgeht.

● Wagner nennt das „Benchmarking unter Schröder“ und als „Goodhearts Law“ die Einführung des €uros (3% und 60%).

● Sein eigentliches Lieblingsbeispiel ist aber doch wohl eher das „Handelsblatt Ranking“. Hier würden „Mickymaus-Indikatoren“ für die Wertschätzung von Publikationen oder Einrichtungen im Bereich der Ökonomie angewendet.

Dies sei aber in anderen Forschungsbereichen nicht anders, Dort seien es halt „Impacts“. (Man besuche mal die Charité und schaue sich die Schautafeln in den einzelnen Abteilungen an – der Blogger.)

Professor Wagner läßt den Zuhörer nicht ohne „praktische Tips“ zurück:

● Was nicht erklärt werden kann, das ist mit Vorsicht zu genießen!

● „Wissenschaftler sind keine besseren Weltverbesserer als Politiker!“

● „Wissenschaftler sind extrem interessengeleitet, wenn es um die … Forschungsplanung geht!

Genau! Und hier liegt eine kleine Schwäche seiner Thesis, die Wagner letztendlich nicht lösen kann.

Politikberatung ist nicht Politikerberatung!“ Dieses Statement betont Wagner immer wieder und versucht, dem Zuhörer vor diesem Hintergedanken verschiedenste Ideen schmackhaft zu machen, die dann doch eine „wirklich(e) wissenschaftliche Politikberatung“ (irgendwie) ermöglichen sollen. „Bescheidenheit“, eine „zweite Meinung“ oder ernsthaft angedient „die Einbeziehung von Laien“, das seien mögliche Wege.

Gerade mit letzterer Idee hat er allerdings immer Recht. Die Demokratie beherrscht dankenswerterweise das Feld der Politik.

Aber Überzeugung ist per se halt nicht „transparent“. Wenn es eine „wissenschaftliche“ Politikberatung eh nicht geben kann, dann kommt es auf Meinungen an!

Hier sei an das ebenfalls in dieser Reihe vorgetragene Statement von Herrn Leif erinnert: „Politik(er)beratung ist immer Lobbyismus“!

Genau letzteres Zitat zeichnet aber die Wahrnehmung von Politikern gegenüber allen „Beratern“ am besten. Nur persönliche Beziehungen können diese Hürde überwinden. Nur langjährige Kontakte (und damit letztendlich doch Lobbyisten-Ansätze) können hier helfen.

Oder anders gesagt: „Politikberatung“ findet vielleicht auf Referentenebene in den Ministerien statt. „Politikerberatung“ zielt persönlich auf Minister oder Kanzler(kandidaten) ab. Where could be the beef?

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