Sonntag, 23. Juni 2013

Friseurinnen und Zahnärzte



Moabiter Plaudereien; 22.06.2013

Früher war das Leben einfach leichter. Und man selber hatte mehr Biß. In meiner Schulzeit gab es einen nicht allzu engen Kumpel, der die Kronkorken von Bierflaschen mit seinen Zähnen entfernen konnte. Sein Vater war Zahnarzt

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"Was mag beim Biß in einen Apfel drohen?" (Quelle: Wikipedia / Author: Joachim K. Löckener / Lizenz: GNU Free Documentation License
Heißhunger führte bei mir leider schon immer zu unkontrolliertem Verhalten. Sobald ich einen Drang zur Nahrungsaufnahme verspüre, übernimmt bei mir das Stammhirn die Kontrolle über meine Gedanken und mein Handlungen. Ich werde zum Fleischsuchenden. Ich brauche dann ein heißes Würstchen (Wiener-, Curry-, Brat-) oder ich will Nackensteak!

Vor ein paar Jahren besuchten meine damalige Frau und ich abends ein Licht- und Musik-Dingsda Unter den Linden. Hier war Licht und dort wurde Musik gespielt und ich bekam Hunger. Nun, ich mache Sport. Wenn bei mir der Blutzuckerspiegel sinkt, dann spüre ich das und eines führt zum anderen und, wie schon erwähnt, mein Stammhirn übernimmt limbisch die Kontrolle. Von einer Sekunde zur nächsten waren mir Licht, Leuchten, Musik und meine Frau egal. Mein Blick wurde ein suchender. Wo konnte es hier nur einen Würstchenstand geben? Kreuz und quer blickend und laufend schleifte ich mein Weib mit Kraft mit mir. Hinter dem Dom fand ich tatsächlich einen Bratwurststand. Wie das so meine Art ist, drängelte ich mich ein wenig nach vorne, um sofort meine Bratwurst bestellen zu können. Mein Augenlicht und mein Großhirn funktionierten noch. Ich konnte die strähnigen Haare der beiden Wurstverkäufer sehen. Ich sah die dreckigen, klobigen Hände mit unglaublich dreckigen Fingernägeln. Ich sah die Spuckenester in den Mundwinkeln dieser wahrhaftig unhygienischen Menschen. Mein Verstand rief nach dem Gesundheitsamt. Mein Stammhirn bezahlte die Wurst und ich verzehrte sie. Ich bemerkte den angewiderten Blick meiner Frau, die ihre geschwollene linke Hand hielt, schlang das letzte Stück Brötchen herunter und sagte: „Ja.“ Danach wurde ich wieder zum führsorglichen Ehemann.

Ich habe zwei Zahnimplantate. Warum wohl? Oben rechts hinter meinem recht beeindruckenden Eckzahn hatte ich mal zwei kleine, funktionierende Reißzähne. Erst danach kommen ja die Mahlzähne. Im Jahr 2001 hatte ich abends ein Geschäftsessen. Es gab Antipasti: entkernte Oliven mit Käse! Welch ein herbeigesehnter Genuß! Bereits bei der allerersten Olive erwischte es mich. Ein halber Kern steckte noch in dem Objekt meiner Lust und wirkte wie ein Meißel auf meinen geliebten Zahn ein. Das Abendessen war für mich schlagartig vorbei. Ich überstand die Nacht mit Hilfe einer Flasche Rotwein. Und meine zierliche Zahnärztin durfte am nächsten Morgen zwei Stunden lang einen kerngesunden Zahn ziehen, der leider bis in den Wurzelbereich hinein gespalten worden war. Ich bekam, meiner Erinnerung zufolge, während dieser eher gefühlten 180 Minuten vier Spritzen. Die kleine Frau war der Panik nahe. Ich schluckte Blut. Mit weit geöffnetem Munde versuchte ich angestrengt und unartikuliert, diese Frau zu motivieren und endlich dazu zu bewegen, diesen Zahn zu ziehen. Egal! Letztendlich hat sie es geschafft.

Ein Jahr lang hatte ich eine Zahnlücke, die sich beim Lachen schon ein wenig aufdrängte. Dummerweise mußte in diesem einen Jahr der geliebte Reißzahn dahinter die Arbeit für Zweie übernehmen. Nachdem der Kieferknochen wieder stabil war, bekam ich mein Implantat. Ich hatte vorher grundsätzlich Angst vor Zahnärzten gehabt. Heute habe ich Panik vor Zahnärzten und ganz sicher vor Kieferchirurgen. „Jetzt sind wir fast fertig. Jetzt kommt nur noch der Gewindeschneider!“ Manche Sätze prägen sich einem ein.

Mit der Vollzahnkrone, die nun seit zehn Jahren auf dieser ersten Schraube in meinem Oberkiefer sitzt, konnte ich fünf volle Jahre lang Lachen, wie nur Gott es von einem fordert. Dann stand bei meinem Sohn an einem Nachmittag eine Zahnbohrung an. Er war damals vielleicht vier Jahre alt. Daher mußte er narkotisiert werden. Ein Tag des Alptraums begann. Wir warteten im Aufwachraum auf unseren Sohn. Bei ihm ging alles gut. Bei mir war in all der Aufregung allerdings der Blutzuckerspiegel gesunken. Mein Stammhirn verlangte nach einer Bratwurst. Die bekam ich dann auch recht schnell. In ihr steckte allerdings ein kleiner, kantiger Knochensplitter. Mein zweiter, geliebter Reißzahn erlebte das Schicksal des ersten. Und mein Kiefer hatte nachher erneut eine Begegnung mit einem Gewindeschneider.

Vor drei Wochen nun hatte ich abends Hunger auf Rührei. Keine Oliven! Keine Bratwurst-Knochensplitter! Aber eine Gabel, die ich nicht schnell genug aus meinem Mund herausbekam, bevor ich kraftvoll zubiß! Nun fehlte mir bis gestern ein Stück Schneidezahn. Natürlich habe ich mir schon seit langem immer und immer wieder, wenn auch zaghaft, die Frage gestellt, ob ich nicht zu den „Anonymen Vom Stammhirn Kontrollierten“ gehen sollte? Nur konnte mir diese Frage meine Panik bis Freitag, 9:00 Uhr nicht nehmen.

Dies hat letztendlich meine Friseurin für mich getan! Wie das? Nun Friseurinnen kennen im Kiez Gott und die Welt und hören so dies und so das. Deshalb können Friseurinnen Zahnärzte empfehlen. Und meine Friseurin gab mir einen herrlichen Tip: Dr. Krüger. Dieser Mann widersprach nun allen Erfahrungen, die mich dem Berufsstand der Zahnärzte gegenüber ein wenig skeptisch haben werden lassen. Nein! Bei mir müssen die sieben Plomben nicht alle entfernt und durch Goldinlays ersetzt werden. Nein! Bohren kann fast Spaß machen. Nein! Hier wird sofort poliert. Ja! Prophylaxe ist auch hier kostenpflichtig. Der Preis dafür hält sich aber im Rahmen. Irgendwie beste deutsche Wertarbeit.

Jetzt muß ich nur noch an meinem Stammhirn arbeiten und meine zweite Million erarbeiten.

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