Moabiter Plaudereien; 22.06.2013
Früher war das Leben
einfach leichter. Und man selber hatte mehr Biß. In meiner Schulzeit gab es
einen nicht allzu engen Kumpel, der die Kronkorken von Bierflaschen mit seinen
Zähnen entfernen konnte. Sein Vater war Zahnarzt
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"Was mag beim Biß in einen Apfel drohen?" (Quelle: Wikipedia / Author: Joachim K. Löckener / Lizenz: GNU Free Documentation License |
Heißhunger führte bei mir leider schon immer zu
unkontrolliertem Verhalten. Sobald ich einen Drang zur Nahrungsaufnahme
verspüre, übernimmt bei mir das Stammhirn die Kontrolle über meine Gedanken und
mein Handlungen. Ich werde zum Fleischsuchenden. Ich brauche dann ein heißes
Würstchen (Wiener-, Curry-, Brat-) oder ich will Nackensteak!
Vor ein paar Jahren besuchten meine damalige Frau und ich
abends ein Licht- und Musik-Dingsda Unter den Linden. Hier war Licht und dort
wurde Musik gespielt und ich bekam Hunger. Nun, ich mache Sport. Wenn bei mir
der Blutzuckerspiegel sinkt, dann spüre ich das und eines führt zum anderen
und, wie schon erwähnt, mein Stammhirn übernimmt limbisch die Kontrolle. Von
einer Sekunde zur nächsten waren mir Licht, Leuchten, Musik und meine Frau
egal. Mein Blick wurde ein suchender. Wo konnte es hier nur einen
Würstchenstand geben? Kreuz und quer blickend und laufend schleifte ich mein
Weib mit Kraft mit mir. Hinter dem Dom fand ich tatsächlich einen
Bratwurststand. Wie das so meine Art ist, drängelte ich mich ein wenig nach
vorne, um sofort meine Bratwurst bestellen zu können. Mein Augenlicht und mein
Großhirn funktionierten noch. Ich konnte die strähnigen Haare der beiden
Wurstverkäufer sehen. Ich sah die dreckigen, klobigen Hände mit unglaublich
dreckigen Fingernägeln. Ich sah die Spuckenester in den Mundwinkeln dieser
wahrhaftig unhygienischen Menschen. Mein Verstand rief nach dem
Gesundheitsamt. Mein Stammhirn bezahlte die Wurst und ich verzehrte sie. Ich
bemerkte den angewiderten Blick meiner Frau, die ihre geschwollene linke Hand
hielt, schlang das letzte Stück Brötchen herunter und sagte: „Ja.“ Danach wurde
ich wieder zum führsorglichen Ehemann.
Ich habe zwei Zahnimplantate. Warum wohl? Oben rechts hinter
meinem recht beeindruckenden Eckzahn hatte ich mal zwei kleine, funktionierende
Reißzähne. Erst danach kommen ja die Mahlzähne. Im Jahr 2001 hatte ich abends
ein Geschäftsessen. Es gab Antipasti: entkernte Oliven mit Käse! Welch ein herbeigesehnter
Genuß! Bereits bei der allerersten Olive erwischte es mich. Ein halber Kern
steckte noch in dem Objekt meiner Lust und wirkte wie ein Meißel auf meinen
geliebten Zahn ein. Das Abendessen war für mich schlagartig vorbei. Ich
überstand die Nacht mit Hilfe einer Flasche Rotwein. Und meine zierliche
Zahnärztin durfte am nächsten Morgen zwei Stunden lang einen kerngesunden Zahn
ziehen, der leider bis in den Wurzelbereich hinein gespalten worden war. Ich bekam,
meiner Erinnerung zufolge, während dieser eher gefühlten 180 Minuten vier
Spritzen. Die kleine Frau war der Panik nahe. Ich schluckte Blut. Mit weit
geöffnetem Munde versuchte ich angestrengt und unartikuliert, diese Frau zu
motivieren und endlich dazu zu bewegen, diesen Zahn zu ziehen. Egal! Letztendlich
hat sie es geschafft.
Ein Jahr lang hatte ich eine Zahnlücke, die sich beim Lachen
schon ein wenig aufdrängte. Dummerweise mußte in diesem einen Jahr der geliebte
Reißzahn dahinter die Arbeit für Zweie übernehmen. Nachdem der Kieferknochen
wieder stabil war, bekam ich mein Implantat. Ich hatte vorher grundsätzlich
Angst vor Zahnärzten gehabt. Heute habe ich Panik vor Zahnärzten und ganz
sicher vor Kieferchirurgen. „Jetzt sind wir fast fertig. Jetzt kommt nur noch der
Gewindeschneider!“ Manche Sätze prägen sich einem ein.
Mit der Vollzahnkrone, die nun seit zehn Jahren auf dieser ersten
Schraube in meinem Oberkiefer sitzt, konnte ich fünf volle Jahre lang Lachen,
wie nur Gott es von einem fordert. Dann stand bei meinem Sohn an einem
Nachmittag eine Zahnbohrung an. Er war damals vielleicht vier Jahre alt. Daher
mußte er narkotisiert werden. Ein Tag des Alptraums begann. Wir warteten im
Aufwachraum auf unseren Sohn. Bei ihm ging alles gut. Bei mir war in all der
Aufregung allerdings der Blutzuckerspiegel gesunken. Mein Stammhirn verlangte
nach einer Bratwurst. Die bekam ich dann auch recht schnell. In ihr steckte allerdings
ein kleiner, kantiger Knochensplitter. Mein zweiter, geliebter Reißzahn erlebte
das Schicksal des ersten. Und mein Kiefer hatte nachher erneut eine Begegnung
mit einem Gewindeschneider.
Vor drei Wochen nun hatte ich abends Hunger auf Rührei.
Keine Oliven! Keine Bratwurst-Knochensplitter! Aber eine Gabel, die ich nicht
schnell genug aus meinem Mund herausbekam, bevor ich kraftvoll zubiß! Nun fehlte
mir bis gestern ein Stück Schneidezahn. Natürlich habe ich mir schon seit
langem immer und immer wieder, wenn auch
zaghaft, die Frage gestellt, ob ich nicht zu den „Anonymen Vom Stammhirn
Kontrollierten“ gehen sollte? Nur konnte mir diese Frage meine Panik bis
Freitag, 9:00 Uhr nicht nehmen.
Dies hat letztendlich meine Friseurin für mich getan! Wie
das? Nun Friseurinnen kennen im Kiez Gott und die Welt und hören so dies und so
das. Deshalb können Friseurinnen Zahnärzte empfehlen. Und meine Friseurin gab
mir einen herrlichen Tip: Dr. Krüger. Dieser Mann widersprach nun allen
Erfahrungen, die mich dem Berufsstand der Zahnärzte gegenüber ein wenig
skeptisch haben werden lassen. Nein! Bei mir müssen die sieben Plomben nicht alle
entfernt und durch Goldinlays ersetzt werden. Nein! Bohren kann fast Spaß
machen. Nein! Hier wird sofort poliert. Ja! Prophylaxe ist auch hier
kostenpflichtig. Der Preis dafür hält sich aber im Rahmen. Irgendwie beste deutsche
Wertarbeit.
Jetzt muß ich nur noch an meinem Stammhirn arbeiten und
meine zweite Million erarbeiten.
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