Donnerstag, 17. Mai 2012

Ein Thema das ernüchtert!


Am 30.04.2012 stand ich kurz vor meinem journalistischen Durchbruch! Der Tag war wunderschön, meine Brieftasche war leer. Ich brauchte 10€. Also ging ich zur Lieblingsfiliale meiner Bank in Moabit. 

Die Filiale hat zwei Geldautomaten. Ich sah die Schlange der Wartenden bevor die Robotertür sich öffnete. Sieben Kunden standen vor mir.  Ein Automat war offenbar defekt. Im Minutentakt standen weitere sechs Darbende hinter mir. Missmut machte sich breit. Ich studierte die Hinterköpfe der vor mir stehenden und musterte zurückhaltend die Gesichter der in der Reihe hinter mir stehenden. Ein wenig Schadenfreude erhellte meine Seele. Nur noch fünf vor mir aber 10 hinter mir! 

„Heute kriegen die HartzIV-ler ihr Geld!“ Das ließ mich aufschrecken! Ich hatte doch  eben und gerade noch zwei Alkoholfahnen gerochen. War da ein Zusammenhang?

War dies ein Recherchethema?

 „Besoffene Hartzer! Geldautomaten leer! 
 Eine wissenschaftliche Studie der TU Berlin …“ 

Gut, die Überschrift würde knalliger werden, der Text müsste etwas hergeben müssen. Aber mein Jagdtrieb war geweckt. Mit ein bisschen Mehrfachverwertung – im globalen Rahmen versteht sich – waren hier Millionen Drachmen zu verdienen. 

Frisch ans Werk: Literaturrecherche, Studien sichten, Leute befragen! Was war nochmal der Unterschied zwischen quantitativer und qualitativer Erhebung? Die HTW hatte doch im Rahmenprogramm der Berliner Stiftungswoche bei der MAECENATA STIFTUNG die Aussagekraft der beiden Vorgehensweisen verwechselt. Die Nachfolgeregelung bei Stiftungen ist halt ein schwieriges Gebiet. 

Am Nachmittag beschäftigte mich das Ganze immer noch rasend. Ein Scoop lag in meinen Händen. Nach einem Kurzinterview zu einem anderen Thema verließ ich Gebäude A eines großen Gesundheitszentrums in Moabit und stellte das nächst passende Wild zur Rede. Der Mitarbeiter einer Facility-Management-Firma putzte Sitzfläche und Rückenlehne einer Parkbank. Er bestätigte mir, dass Hartz-IV-Empfänger am 30.04. jeden Jahres Geld auf ihr Konto überwiesen bekommen. Er verdeutlichte mir sein Verständnis und seine eigene Situation! Ich aber war auf der richtigen Spur! 

Eine kurze Internetrecherche bestätigte meine bisherigen Ergebnisse. JobCenter sind für Hartzer zuständig! Die Adresse des Centers, das meinem Wohnort am nächsten liegt war schnell gefunden: Sickingenstrasse! Am Donnerstag, 03.05.2012, stand ich morgens um 7:45 Uhr am Ort meiner Wahl. Circa 200 Menschen standen in einer Schlange von circa 70 Metern vor dem Eingang. Promoter standen am Rande der Menschenschlange und boten Flyer und Dienstleistungen an. Tatsächlich! Der leise Hauch einer Alkoholfahne war zu vernehmen. Ich hatte die Reihe von ihrem Ende beginnend bis zur Eingangstür abgeschritten, Menschen begrüßt und endlich an der Eingangstür hatte ich tatsächlich einen „gerochen“. Die allgemeine „Stimmung“ war gedrückt, „the pursuit of happiness“ nicht erreicht. Ich wendete mich ab. Ich wollte dort nicht länger gesehen werden.

Mein journalistischer Ansatz ergraute ein wenig. Wissenschaftlich und empirisch hätte ich allerdings jeden Tag weitermachen können. Ich hätte mir allerdings numerisch beantwortbare  Fragen überlegen müssen!

Es gibt doch aber noch die Charité! Ich wendete mich an die „Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie“ vor Ort. Im Rahmen des Themenwochenendes „EIN LETZTES GLAS IM STEHEN – Alkoholismus und seine Gesichter“ waren erhellende Vorträge gehalten worden. Die HandOuts holte ich mir von Herrn L. von Station 153. 

Spätestens am 15.05.2012 erlosch mein Wille, irgendeine Verwertung dieses Themas anzustreben.
Ein Vortrag der Themenwoche handelt von „Alcohol and Depression“. The current state of the literature suggests a causal linkage between alcohol use disorders and major depression“. “Further evidence suggests that the most plausible causal association between AUD and MD is one in which AUD increases the risk of MD”. Heute zeigen Studien, die den Zusammenhang zwischen Alkoholmissbrauch und Depressionen betrachten, dass sich offenbar beide Erkrankungen gegenseitig beeinflussen. Statistisch gesehen fördert Alkoholmissbrauch das Auftreten von Depressionen.

Der zweite Vortrag von Prof. Fr. Rainer Hellweg ist noch erschreckender! In den letzten 20 Jahren hat der Anteil der psychischen Erkrankungen verdreifacht.

Charité Universitätsmedizin Berlin Klinik für Psychiatrie und Psychtherapie


Immerhin! Alkoholismus steigert das Selbstmordrisiko nur um den Faktor 6!

Charité Universitätsmedizin Berlin Klinik für Psychiatrie und Psychtherapie
Alkohol macht extrem abhängig.

Charité Universitätsmedizin Berlin Klinik für Psychiatrie und Psychtherapie

Betrachtet man das Durchschnittstrinkverhalten der Deutschen, so kommen diese auf 22g reinen Alkohol pro Tag. Man kann unterstellen, dass 30% der Bevölkerung zu jung (Kinder und Teenager) oder zu alt sind, um Alkohol konsumieren zu können. Etliche Studien deuten zudem darauf hin, dass Männer doppelt so häufig trinken wie Frauen. Statistisch bedeutet dies, dass die durchschnittliche männliche Bevölkerung mit knapp 42g reinem Alkohol pro Tag das Leben meistern müsste! Dies liegt für die männliche Durchschnittsbevölkerung SOMIT FÜR JEDEN erwachsenen Mann im Bereich des „riskanten Konsums“. Ich kann nur hoffen, dass diese Schlussfolgerung falsch ist! Das wären ja 1,5 Liter Bier pro Person pro Tag!

Man könnte solche Überlegungen allerdings auch für die weibliche Seite der Gesellschaft vertiefen. Nimmt man an, dass von drei Frauen eine nie, eine durchaus mal und die dritte das was übrigbleibt verkonsumiert, so ist auch der weibliche Teil unserer Gesellschaft nicht frei von Gefahr. 

Hartz-IV-ler dürften also selbst in Berlin nicht für diesen Wahnsinn verantwortlich sein. 

Schlecht für mich! Spätestens an dieser Stelle wurde mir kalt! Ich hatte eigentlich noch einmal vor, mich mit besseren Fragen an einem anderen Tag zum JobCenter in der Sickingenstraße zu begeben. Was wäre aber, wenn mich dort mal einer wiedererkennen täte. Mein Nimbus wäre dahin. Was wäre, wenn die mich da einfach einfangen würden?

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