Am 30.04.2012 stand ich kurz vor
meinem journalistischen Durchbruch! Der Tag war wunderschön, meine Brieftasche
war leer. Ich brauchte 10€. Also ging ich zur Lieblingsfiliale meiner Bank in
Moabit.
Die Filiale hat zwei Geldautomaten.
Ich sah die Schlange der Wartenden bevor die Robotertür sich öffnete. Sieben
Kunden standen vor mir. Ein Automat war
offenbar defekt. Im Minutentakt standen weitere sechs Darbende hinter mir.
Missmut machte sich breit. Ich studierte die Hinterköpfe der vor mir stehenden
und musterte zurückhaltend die Gesichter der in der Reihe hinter mir stehenden.
Ein wenig Schadenfreude erhellte meine Seele. Nur noch fünf vor mir aber 10
hinter mir!
„Heute kriegen die HartzIV-ler ihr
Geld!“ Das ließ mich aufschrecken! Ich hatte doch eben und gerade noch zwei Alkoholfahnen
gerochen. War da ein Zusammenhang?
War dies ein Recherchethema?
„Besoffene
Hartzer! Geldautomaten leer!
Eine wissenschaftliche Studie der TU Berlin …“
Gut, die Überschrift würde knalliger werden, der Text müsste etwas hergeben müssen.
Aber mein Jagdtrieb war geweckt. Mit ein bisschen Mehrfachverwertung – im globalen
Rahmen versteht sich – waren hier Millionen Drachmen zu verdienen.
Frisch ans Werk:
Literaturrecherche, Studien sichten, Leute befragen! Was war nochmal der
Unterschied zwischen quantitativer und qualitativer Erhebung? Die HTW hatte
doch im Rahmenprogramm der Berliner Stiftungswoche bei der MAECENATA STIFTUNG
die Aussagekraft der beiden Vorgehensweisen verwechselt. Die Nachfolgeregelung
bei Stiftungen ist halt ein schwieriges Gebiet.
Am Nachmittag beschäftigte mich das
Ganze immer noch rasend. Ein Scoop lag in meinen Händen. Nach einem
Kurzinterview zu einem anderen Thema verließ ich Gebäude A eines großen
Gesundheitszentrums in Moabit und stellte das nächst passende Wild zur Rede. Der
Mitarbeiter einer Facility-Management-Firma putzte Sitzfläche und Rückenlehne
einer Parkbank. Er bestätigte mir, dass Hartz-IV-Empfänger am 30.04. jeden
Jahres Geld auf ihr Konto überwiesen bekommen. Er verdeutlichte mir sein Verständnis und seine eigene Situation! Ich aber war auf der richtigen Spur!
Eine kurze Internetrecherche
bestätigte meine bisherigen Ergebnisse. JobCenter sind für Hartzer zuständig!
Die Adresse des Centers, das meinem Wohnort am nächsten liegt war schnell
gefunden: Sickingenstrasse! Am Donnerstag, 03.05.2012, stand ich morgens um
7:45 Uhr am Ort meiner Wahl. Circa 200 Menschen standen in einer Schlange von
circa 70 Metern vor dem Eingang. Promoter standen am Rande der Menschenschlange
und boten Flyer und Dienstleistungen an. Tatsächlich! Der leise Hauch einer
Alkoholfahne war zu vernehmen. Ich hatte die Reihe von ihrem Ende beginnend bis zur
Eingangstür abgeschritten, Menschen begrüßt und endlich an der
Eingangstür hatte ich tatsächlich einen „gerochen“. Die allgemeine „Stimmung“ war gedrückt,
„the pursuit of happiness“ nicht erreicht. Ich wendete mich ab. Ich wollte dort
nicht länger gesehen werden.
Mein journalistischer Ansatz
ergraute ein wenig. Wissenschaftlich und empirisch hätte ich allerdings jeden Tag
weitermachen können. Ich hätte mir allerdings numerisch beantwortbare Fragen überlegen müssen!
Es gibt doch aber noch die Charité!
Ich wendete mich an die „Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie“ vor Ort. Im
Rahmen des Themenwochenendes „EIN LETZTES GLAS IM STEHEN – Alkoholismus und
seine Gesichter“ waren erhellende Vorträge gehalten worden. Die HandOuts holte ich mir
von Herrn L. von Station 153.
Spätestens am 15.05.2012 erlosch mein Wille,
irgendeine Verwertung dieses Themas anzustreben.
Ein Vortrag der Themenwoche handelt
von „Alcohol and Depression“. „The
current state of the literature suggests a causal linkage between alcohol use
disorders and major depression“. “Further evidence suggests that the most
plausible causal association between AUD and MD is one in which AUD increases
the risk of MD”. Heute zeigen Studien, die den Zusammenhang zwischen
Alkoholmissbrauch und Depressionen betrachten, dass sich offenbar beide Erkrankungen gegenseitig beeinflussen. Statistisch gesehen fördert Alkoholmissbrauch das
Auftreten von Depressionen.
Der zweite Vortrag von Prof. Fr. Rainer
Hellweg ist noch erschreckender! In den letzten 20 Jahren hat der Anteil
der psychischen Erkrankungen verdreifacht.
Charité Universitätsmedizin Berlin Klinik für Psychiatrie und Psychtherapie |
Immerhin! Alkoholismus steigert das
Selbstmordrisiko nur um den Faktor 6!
Charité Universitätsmedizin Berlin Klinik für Psychiatrie und Psychtherapie |
Alkohol macht extrem abhängig.
Charité Universitätsmedizin Berlin Klinik für Psychiatrie und Psychtherapie |
Betrachtet man das Durchschnittstrinkverhalten
der Deutschen, so kommen diese auf 22g reinen Alkohol pro Tag. Man kann
unterstellen, dass 30% der Bevölkerung zu jung (Kinder und Teenager) oder zu
alt sind, um Alkohol konsumieren zu können. Etliche Studien deuten zudem darauf
hin, dass Männer doppelt so häufig trinken wie Frauen. Statistisch bedeutet
dies, dass die durchschnittliche männliche Bevölkerung mit knapp 42g reinem Alkohol
pro Tag das Leben meistern müsste! Dies liegt für die männliche Durchschnittsbevölkerung
SOMIT FÜR JEDEN erwachsenen Mann im Bereich des „riskanten Konsums“. Ich kann nur hoffen, dass diese Schlussfolgerung
falsch ist! Das wären ja 1,5 Liter Bier pro Person pro Tag!
Man könnte solche Überlegungen allerdings auch für die weibliche Seite der Gesellschaft vertiefen. Nimmt man an, dass von drei Frauen eine nie, eine durchaus mal und die dritte das was übrigbleibt verkonsumiert, so ist auch der weibliche Teil unserer Gesellschaft nicht frei von Gefahr.
Man könnte solche Überlegungen allerdings auch für die weibliche Seite der Gesellschaft vertiefen. Nimmt man an, dass von drei Frauen eine nie, eine durchaus mal und die dritte das was übrigbleibt verkonsumiert, so ist auch der weibliche Teil unserer Gesellschaft nicht frei von Gefahr.
Hartz-IV-ler dürften also selbst
in Berlin nicht für diesen Wahnsinn verantwortlich sein.
Schlecht für mich! Spätestens
an dieser Stelle wurde mir kalt! Ich hatte eigentlich noch einmal vor, mich mit
besseren Fragen an einem anderen Tag zum JobCenter in der Sickingenstraße zu
begeben. Was wäre aber, wenn mich dort mal einer wiedererkennen täte. Mein
Nimbus wäre dahin. Was wäre, wenn die mich da einfach einfangen würden?
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