Sonntag, 20. Mai 2012

Ressortforschung - "Think Tanks" in Deutschland


In Deutschland werden Wissenschaft und Forschung privat von Firmen und Unternehmen oder im staatlichen Rahmen durchgeführt. Die öffentlich organisierte „Wissenschaftslandschaft“ ist tendenziell unübersichtlich aber strukturiert organisiert. Man spricht von den „Säulen“ der deutschen Wissenschaft.

Die sechs Säulen des "Wissenschaftssystems" in Deutschland! Eigene Quellensuche und Darstellung! (Daten 2010)

Laut „Bundesbericht Forschung und Innovation 2010“ gibt es momentan 46 "Ressortforschungseinrichtungen" des Bundes in Deutschland. Sie sind einzelnen Bundesministerien zugeordnet, den einzelnen Ressorts. Auf Landesebene angesiedelt gibt es ebenfalls entsprechende Institutionen. Als Rechtsformen werden Stiftungen, eingetragene Vereine oder die Form der „nicht geschäftsfähigen“ Bundesoberbehörde gewählt. 

Ressortforschungseinrichtungen befassen sich vorrangig mit „Politikberatung und Informationsbeschaffung, teilweise auch mit Regulierungs- und Prüfaufgaben sowie Dienstleistungen für Dritte und die Öffentlichkeit“. Der Anteil der Forschung an den Gesamtaufgaben, hängt von der Rechtsform nicht ab. Man kann die Aufgaben einzelner Institute schwer miteinander vergleichen. Die Institute sind „ausgesprochen heterogen“. 

 Wie sehen die Ministerien die Aufgaben ihrer Ressort-Forscher?

Ministerien in Deutschland sind streng hierarchisch aufgebaut. Sie exekutieren die staatliche Gewalt. Vom Minister an der Spitze bis zum Hilfssachbearbeiter an seinem Arbeitsplatz kann es 9 (es werden mehr, wenn man die nachgeordneten Bundesbehörden einbezieht!) Hierarchieebenen geben. In der „Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien“ (GGO) ist penibel genau beschrieben, wie ein Vorgang zu bearbeiten ist, welche Möglichkeiten der Mitzeichnung es gibt, welche Stiftfarbe der Beamtete Staatssekretär zu verwenden hat, welche der Parlamentarische Staatssekretär. 

Die Akte und die Vollständigkeit einer Akte sind hier wesentliche Grundlage staatlichen Handelns. Die Mehrzahl der Mitarbeiter in den klassischen fünf „Genitiv-Ministerien“ (Ministerium des Inneren etc.) hat spätestens ab der Ebene der Referenten aufwärts Jura oder Volkswirtschaft studiert oder ist Verwaltungsfachmann. In den sogenannten „Fachressorts“ (Bundesministerium für Umwelt) sind auch fachspezifisch ausgebildete Akademiker tätig. 

Ein guter Gruppen- oder Abteilungsleiter zeichnet sich prinzipiell durch Verwaltungs- und Vorgangswissen aus. Ein sehr guter Leiter kennt jede Akte, da jede Akte aus seinem Bereich irgendwann über seinen Schreibtisch gelaufen ist und er sie gelesen hat. Das Ministerium ist auf Fachwissen angewiesen, das gerade aus der Ressortforschung kommen soll.

Die Ministerien „qualifizieren die Ressortforschung als eigenständigen Typ angewandter Forschung“. Eine „gute Leistungwird dann anerkannt, „wenn sich die Forschungsergebnisse im Prozess der politischen Praxis bewähren“. Die wissenschaftliche Expertise darf dabei auf nationaler oder internationaler Ebene nicht in Frage gestellt werden. Es gilt als ein „Wagnis, wenn sich die ressorteigene Forschung an der ‚Spitze der Wissenschaft‘ orientiert, weil die dort eingesetzten Methoden und Interpretationen oftmals noch innerhalb der Wissenschaft kontrovers diskutiert werden“. 

Die Ressortforschung wird als Instrument in der „politischen Auseinandersetzung“ genutzt. Dafür muss die "wissenschaftliche Expertise vertrauensvoll sein. Sie muss von Experten als „richtig anerkannt“ werden. Die Expertise muss „unparteilich und „ohne Eigeninteresse“ sein. Aus dieser Sicht heraus ist es kontraproduktiv, im Bereich der Ressortforschung eine Erhöhung des Drittmittelanteils oder mehr Publikationen zu fordern. Die „Unabhängigkeit der Forschung“ sei „nicht mehr gegeben“, wenn die Institute „auf Drittmittel angewiesen“ seien. Ein amerikanischer Think Tank hat ebenfalls keine Schwierigkeiten, sich von Drittmitteln fernzuhalten. Außen- und Verteidigungsministerium sind dort sehr zuwendungsfreudig!

Die Einbindung einer Ressortforschungseinrichtung in die Hierarchie eines Ministeriums bietet „absolute Loyalität“, „Zuverlässigkeit“ und den „direkten politischen Durchgriff auf die Einrichtungen“. Ressortforschungseinrichtungen sind  oft auskunftspflichtig gegenüber dem Ministerium. Das „Primat der Politik gegenüber der Wissenschaft“ soll sichergestellt werden. Damit wird auch begründet, dass „die Ressortforschung nicht zum wissenschaftlichen Feld gehört und auch nicht gehören darf“. Aus dieser Sicht heraus ist „Erkenntnisgewinn für die Wissenschaft“ genau genommen „ein netter Nebeneffekt“. 

Das Primat der Politik führt dazu, dass die Wissenschaftler der Ressortforschung „bei der Methodenauswahl und den Ergebnissen“ selbst entscheiden sollen und Ihnen bei der „Themenauswahl“ „nur eine gewisse Unabhängigkeit“ erlaubt wird. Diese Sichtweise erschwert es den Instituten, eine vorausschauende Forschung oder „Vorlaufforschung“ zu betreiben. Exemplarisch zeigt sich dies in der Agrarpolitik. Auf „Dioxin, Milchseen, Schweinepest“, BSE oder die „bildliche Verdichtung von Risikoskandalen in massenhafter Rinderkeulung“ konnten die Bundes- oder Landesministerien nur reagieren. 

Gleichzeitig kann die strenge Einordnung in die Hierarchie des Ministeriums auch eine erfolgreiche Vorlaufforschung beeinträchtigen, wenn die Ergebnisse die Politik nicht erreichen. Im Bereich der Außenpolitik betrifft dies Studien zu unterschiedlichsten Themenfeldern. Interessant ist beispielsweise, dass „Anzeichen eines bevorstehenden Zusammenbruchs der DDR im Jahre 1989 wissenschaftlich überzeugend“ waren. Diese „passten aber nicht zu vorherrschenden Klischees und wurden deshalb nicht wahrgenommen“. 

Die Zitate sind im Wesentlichen der wunderbaren Studie von Prof. Dr. Eva Barlösius mit dem Titel „Zwischen Wissenschaft und Staat? Die Verortung der Ressortforschung“ entnommen! Andere Quellen können bei FHVI nachgefragt werden!



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