Im Haus der Kulturen der Welt (HKW) findet gerade eine
Vortragsreihe zum Thema ZEITGENÖSSISCHER REALISMUS UND MATERIALISMUS statt.
Zu Recht wird die Vortragsreihe folgendermaßen beworben: Sie „adressiert
Realismus und Materialismus in der zeitgenössischen Philosophie. Den
eingeladenen Philosophen … ist die Kritik an der post-kantischen Philosophie
gemein, in der die Welt nicht unabhängig vom Menschen gedacht werden kann. Die
vorgestellten philosophischen Positionen weisen die Korrelation von Denken und
Welt – das post-kantische Paradigma, das Meillassoux „Korrelationismus“ nennt –
auf unterschiedliche Weise zurück: Indem ein transzendentaler Naturalismus, ein
spekulativer Materialismus, eine objektorientierte Philosophie oder ein
wissenschaftlicher Realismus entwickelt wird, kann das Verhältnis zwischen
Erkenntnistheorie und Metaphysik, Wissenschaft und Philosophie, Denken und
Natur neu bestimmt werden.“
Am Freitag, 04.05.2012 hielt Ray Brassier (Philosophieprofessor
an der American University of Beirut) seinen Vortrag mit dem Titel That which
is not. Bereits im Oktober 2011 hatte Ray Brassier im n.b.k. (Neuer
Berliner Kunstverein) einen philosophischen Vortrag im Rahmen der Ausstellung
„Kunst und Philosophie“gehalten.
Hier im HKW fand der Vortrag im Konferenzraum K1 statt. Der Raum ist annähernd kubisch, da er sich über zwei Etagen erstreckt. Es herrschen warme Brauntöne vor. Zu einer Seite erstreckt sich eine Fensterfront in voller Höhe und Breite des Raums. Auch heute noch lässt sich der Chic der 50er Jahre unschwer erkennen.
Die Vorstellung war höchst inhaltsreich. „The atonomy of the
real“ führt zu Plato und „Plato is a formal dualism“ und „fuels the persistance
of dialectics”. Ray Brassier brachte es auf den Punkt: “What is the nature of
this Not?” Es ist leicht zu erkennen: “The thinking of the Not is not to think!”
“An empty concept without an object” korreliert letztendlich mit der
Feststellung: “reality of sensation is a sensation of reality.” “I stop now!”
Schon im n.b.k. trug Ray Brassier seine Bemerkungen nicht in
freier Rede vor. Der Vortragstext wurde auch hier abgelesen. Die linke Hand
hielt das Stehpult fest. Die Rechte durchschnitt – Daumen und Zeigefinger
zusammengepresst – kraftvoll die Luft. Der Blick richtete sich zu Boden. Die
Worte wurden mit körperlicher Anstrengung herausgedrückt. Sich hier den Vortrag
stichpunktartig mitschreiben zu wollen, das musste scheitern.
Der Konferenzraum war mit seinen 80 Besuchern gut gefüllt.
Die Orchestrierung bewirkte, dass der Vortragende an seinem Pult erhöht auf
einer kleinen Bühne stand und das Publikum in einer Art Halbrund um ihn herum
gruppiert war. Der Altersdurchschnitt war jung, aber es waren auch Zuhörer
jenseits der 60 anwesend. Bei den Herren herrschten Seitenscheitel, Anzüge und
markante, dunkle Brillengestelle vor. Die Frauen waren andächtig und schön.
Einige Männer nickten heftig und zustimmend während des Vortrags.
Diese quasi-religiöse Andacht habe ich bisher nur bei Juri Schuwalow
kennengelernt. Juri ist russischer Ukrainer. 1986 zum Zeitpunkt der
Reaktorkatastrophe von Tschernobyl war er bei den sowjetischen Raketentruppen.
Noch Jahre später schwärmte er davon, wie überaus positiv sich sein
Rettungseinsatz am Atomkraftwerk auf seine Libido ausgewirkt hatte.
Ende der 90er Jahre lud ich Juri zu einer kleinen Party
ein. Er brachte seine Gitarre mit und fing im Laufe des Abends irgendwann an,
russische Balladen vorzutragen. Alle Frauen ließen sich im Halbrund zu seinen
Füßen nieder und er spielte ein Stück nach dem anderen. Niemand verstand die
Worte aber der Klang war wunderbar. Juri ist seitdem eines meiner großen
Vorbilder.
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