Samstag, 19. Mai 2012

Lobbyismus kann ein Jedermann


Seit Februar 2012 werden in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) regelmäßig Vorträge zum Thema „Wissenschaftliche Politikberatung“ gehalten. Dankenswerterweise kommen die Dozenten nicht nur aus Deutschland sonder auch aus den USA.

Ortwin Renn berichtete als Akademiemitglied von der Arbeit der Ethikkommission nach Erdbeben, Tsunami und dem Reaktorunfall in Fukushima. Aus seiner Sicht legitimiert der Abschlussbericht der Kommission den Ausstiegsbeschluss der Bundesregierung. In Demokratien werden allerdings politische Fragen – wie der Ausstieg aus der Kernenergie – durch parlamentarische Mehrheitsbeschlüsse legitimiert.

Naomi Oreskes (University of California, San Diego) stellte die Ergebnisse einer feinen Studie vor. Wer ist in den USA federführend daran beteiligt, wenn der Klimawandel verneint wird oder Nichtrauchergesetze bekämpft werden sollen? Warum geschieht dies überhaupt? In ihrer Untersuchung kommt Frau Oreskes zu dem Ergebnis, dass tatsächlich eine sehr kleine Gruppe (eine Handvoll) Argumentationspapiere erstellt und damit eine große Medienwirkung entfalten kann. Da kann ein „Institut für …“ tatsächlich im Wohnzimmer eines Aktivisten angesiedelt sein. Gewissermaßen ein "Couch-Institute".

Man kann dies als „Graswurzel-Lobbyismus“ betrachten. Bürger voller Engagement verteidigen ihre Vorstellung von Freiheit. Die Möglichkeit eines Klimawandels wird abgelehnt, weil der Staat in die Freiheitsrechte des Einzelnen eingreift, sobald er die Erderwärmung bekämpft. Der Begriff der „Freiheit“ hat in den USA eine viel stärkere Bedeutung als in Deutschland. Unser momentaner Bundespräsident hat mit seiner Ode an die Freiheit eine Gegenwehr erlebt, die in den USA höchstwahrscheinlich mit Erschrecken wahrgenommen wird! Wenn überhaupt!!!

In dem Zusammenhang fällt mir immer das Beispiel New Hampshire ein. Staatsmotto dort drüben lautet: „Live free or Die!“. Bis zur Volljährigkeit müssen Autoinsassen Sicherheitsgurte anlegen. Für den erwachsenen freien Bürger entfällt diese Pflicht.

„Occupy“ ist letztendlich eine andere und trotzdem ähnliche Form dieses Lobbyismus; ebenso „Stuttgart 21“, der Aufstieg der Piratenpartei oder „Blockupy“. Naomi Oreskes zeigte sich dennoch erstaunt darüber, das die von ihr untersuchten Freiheitsaktivisten gar keine Wissenschaftler seien und aus dem Umfeld von „Los Alamos“ entstammten. Teller lässt grüßen. 

Der beeindruckende Vortrag von Robert Pielke jr. (University of Colorado) betrachtete die Geschichte der “Science Advisors” der US-Präsidenten seit Truman. Diese gehören übrigend nicht zum "inner circle" des Präsidenten, da sie vom Kongress befragt werden können. Sollten in Zukunft Aliens die USA angreifen, so wird der Science Advisor bei den entscheidenden Sitzungen nicht anwesend sein.

Pielke stellte zwei einfache Ideen in den Vordergrund. Wissenschaftliche Politikberatung bedeutet, dass man sich im Feld der Politik bewegt. Zweitens entschärft man dann ideologische Widerstände aus seiner Sicht am Besten, indem man reale, auswählbare Handlungsalternativen anbietet.

Dirk Messner vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) ließ klar erkennen, dass er aus einer deutschen „Ressortforschungseinrichtung“ stammt. Eine solche Einrichtung ist einem Ressort, also einem Ministerium unter- oder nachgeordnet. Genauso verhält sie sich. Wissenschaftliche Themen werden aufbereitet. Zur Sicherheit werden Wunsch und Wille der Politik vor und bei der Erstellung von Expertisen erahnt. 

Die Veranstaltungen  sind insgesamt sehr erfrischend, leider schlecht beworben und leider schlecht besucht. Der Unterschied im Politikverständnis zwischen Deutschland und den USA ist spürbar. Dass es „Wahrheit“ als politischen Begriff nicht geben kann, ist deutschen Wissenschaftlern fremd.

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